Der unterkühlte Hochsommer trügt. Die globale Erwärmung schreitet weiter voran – auch in Deutschland. 2011ist bisher zu warm und zu regenarm.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - "Wann wird's mal endlich wieder Sommer?" Anno 1975 landete Rudi Carrell mit dieser Frage einen Hit. 14 Wochen hielt er sich damit in den Schlagercharts. Das Wort Klimawandel war noch nicht erfunden, aber das Wetter muss zu Ferienzeiten ähnlich garstig gewesen sein wie dieser Tage.

 

Experten bewerten die meteorologische Lage allerdings völlig anders als missgestimmte Urlauber, verdrossene Freibadfans und verblasste Sonnenanbeter. Für jene bestätigt die aktuelle Wetterstatistik den Trend zur globalen Erwärmung - ungeachtet der zurzeit wenig biergartenfreundlichen Temperaturen. Gemessen an den langjährigen Vergleichszahlen war auch 2011 bisher zu warm und zu regenarm. 2010 war in Deutschland zwar kühler als im Durchschnitt, weltweit aber eines der wärmsten Jahre, seit Wetterdaten aufgezeichnet werden. Dies berichtete der Deutsche Wetterdienst am Dienstag in Berlin.

Das Frühjahr war insgesamt zu warm

Das Frühjahr 2011 war nach Auskunft der Meteorologen das sonnigste seit 60 Jahren, "insgesamt deutlich zu warm" und zu trocken. Im April lag die Durchschnittstemperatur gar um 4,2 Grad über dem seit 1881 registrierten Mittelwert - eine enorme Abweichung. Alle sechs Monate des ersten Halbjahres waren demnach zu warm. Und die Niederschlagsdefizite in der ersten Jahreshälfte wurden auch durch die häufigen Schauer während der vermeintlich unterkühlten Hochsommerwochen nicht ausgeglichen. Wenn der bisherige Wettertrend bis Jahresende so anhält, dann würde 2011 das drittwärmste Jahr seit 1881, sagte Gerhard Müller-Westermeier, Leiter der Klimaanalyse beim Deutschen Wetterdienst. Für Wetterpessimisten hat er einen Trost: "Der Sommer ist sicher noch nicht zu Ende." Auch während des bisher wärmsten Jahres in Deutschland - das war 2000 - sei der Monat Juli eher kühl gewesen.

Seit Beginn der Wetterstatistik vor 130 Jahren ist die Durchschnittstemperatur in Deutschland um 1,1 Grad gestiegen. Die vergangenen beiden Jahrzehnte waren die wärmsten dieses Zeitraums. Paul Becker, Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes, rechnet bis zum Jahr 2100 mit einer weiteren Erwärmung um zwei bis vier Grad. Das würde "häufigere und längere Hitzeperioden" bedeuten sowie im Winter mehr Stürme und üppigere Niederschläge. Becker zufolge hätte dies "massive Auswirkungen", gerade in Städten. Er prophezeit "Überlastungen der Kanalisation und Überschwemmungen". Der fortschreitende Klimawandel verlange auch in Deutschland Anpassungen bei der Belüftung, Kühlung und Isolation von Wohngebäuden.

Baden-Württemberg ist das verregnetste aller Bundesländer

In Baden-Württemberg liegt die Erwärmung unter dem bundesweiten Durchschnitt. Die Temperaturen stiegen seit Beginn der Wetteraufzeichnung um 1,02 Grad. Am deutlichsten ist der Temperaturanstieg im Saarland (plus 1,44 Grad), am geringsten in Mecklenburg-Vorpommern (plus 0,62 Grad). Im Südwesten haben die Niederschlagsmengen übers Jahr gerechnet um 11,7 Prozent zugenommen (bundesweit um 11,5), im Winter sogar um 30 Prozent (26). Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 980 Liter pro Quadratmeter gemessen. Damit ist Baden-Württemberg überhaupt das verregnetste aller Bundesländer. Im Durchschnitt liegt die jährliche Niederschlagsmenge deutschlandweit nur bei 789 Litern pro Quadratmeter.

In Mecklenburg-Vorpommern herrscht am häufigsten sonniges Wetter. Dort wurde 2010 eine jährliche Sonnenscheindauer von 1648 Stunden gemessen. Baden-Württemberg folgt mit 1607 Stunden hinter Berlin und Brandenburg auf Rang 4. Besonders düster ist es in Hessen (1459), Niedersachsen (1456) und Nordrhein-Westfalen (1440). Die Sonnenscheindauer hat bundesweit seit 1951 um 2,9 Prozent zugenommen, dies vor allem im Winter (9,6 Prozent). Baden-Württemberg hat von diesem eher erfreulichen Nebeneffekt des Klimawandels nur wenig profitiert. Hier schien die Sonne nur unwesentlich länger als vor 60 Jahren (plus 1,0 Prozent). Nur im Winter machten sich die veränderten klimatischen Verhältnisse deutlicher bemerkbar (plus 15,5 Prozent).