In Kalabrien enttarnt die Polizei ein Krankenhaus als Zentrum für Versicherungsbetrug. Gehörte der Mord an ungeborenen Kindern zum Geschäftsmodell? Der StZ-Korrespondent Paul Kreiner berichtet aus Italien.

Stuttgart - Zu den größten Publikumserfolgen der italienischen Polizei, jede Woche neu, gehören Überwachungsvideos, auf denen Blinde Motorrad fahren oder Lahme tanzen. Jedenfalls solche, die sich jahrelang für lahm oder blind ausgegeben und damit tausende von Euro an Behindertenrente ergaunert haben.

 

Den Versicherungsbetrug aber, den die Polizei jetzt im kalabrischen Cosenza aufgedeckt hat, den will lieber keiner ansehen. Er ist nur noch grauenhaft.

„Das Kind war völlig gesund“, sagt die Polizei

Ein trauriger Vorfall brachte den Stein ins Rollen: Eine 37-jährige Frau, die im siebten Monat schwanger war, wurde in einen Autounfall verwickelt und erlitt dabei eine Fehlgeburt; sie beantragte daraufhin 80 000 Euro Schmerzensgeld. Den Ermittlungen zufolge stellt sich die Wahrheit allerdings ganz anders dar. Um an so viel Geld auf einmal zu kommen, hatte die Frau einen Unfall vorgetäuscht, das Kind mit Hilfe eingeweihter Mediziner abgetrieben – und es dann im Krankenhaus, „unter vorsätzlicher Unterlassung jeder Hilfe“, einfach sterben lassen. „Das Kind war völlig gesund, es hätte nur ein bisschen Sauerstoff gebraucht, dann hätte es überlebt“, sagt der Leiter der Cosenzer Straßenpolizei, Domenico Provenzano.

Den ersten Verdacht geschöpft hatte jener Arzt, der damals, im Mai 2012, Dienst in der Notaufnahme des städtischen Krankenhauses hatte. Ihm waren die Verletzungen, welche die Frau präsentierte, und die Fehlgeburt als solche seltsam vorgekommen. Seine Anzeige zog Kreise: in ihrer Operation Medical Market ermittelte die Polizei schließlich gegen 144 Personen im und im Umfeld dieses Spitals.

Drei Ärzte sind in Untersuchungshaft

„Sie fälschten Diagnosen, Klinikunterlagen, Röntgenbilder, um alles zu simulieren, was man sich an psychischen oder körperlichen Krankheiten oder an Unfällen so vorstellen kann,“ sagt der Provinzkommandant der Finanzpolizei, Giosuè Colella. Anwälte erledigten dann das bürokratische Prozedere mit den Versicherungen – und von den erschlichenen Schmerzensgeldern oder Renten bekamen alle ihren Teil. Drei Ärzte sind in Untersuchungshaft.

„Zahlreiche Autounfälle“ hätten sich in diesem Zusammenhang als fingiert herausgestellt, sagen die Ermittler. Sie hegen den Verdacht, dass es in Cosenza mehr solcher „Fehlgeburten“ gegeben hat. Mundpropaganda, so heißt es, könnte „viele Frauen“ dazu gebracht haben, die Möglichkeit zur geldbringenden Abtreibung zu nutzen.