Das Klinikum Stuttgart startet im April mit einem neuen Angebot: einer Teilzeitausbildung zum Krankenpfleger. Das ist eine neue Antwort auf den Fachkräftemangel. Die privaten Unternehmen sind aber eher reserviert.

Stuttgart - Als sie 17 Jahre alt war, hat Baha Öztok eine „große Dummheit“ begangen, wie sie sagt. Sie hat damals ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin abgebrochen. „Das hatte gar nichts mit dem Beruf zu tun, sondern nur mit jugendlichem Leichtsinn“, sagt sie heute, 18 Jahre später. Sie ist froh, dass sie nun doch noch die Ausbildung in ihrem Wunschberuf machen kann. In den vergangenen Jahren hat sie sich mit Bürojobs über Wasser gehalten. Nun könne sie das machen, was sie erfüllt.

 

Anfang April startet am Stuttgarter Klinikum erstmals die Teilzeitausbildung zum Krankenpfleger. Statt drei dauert die Ausbildung vier Jahre. Baha Öztok ist einer von 28 Teilnehmern. „In Vollzeit hätte ich das nicht machen können“, sagt die 35-jährige Stuttgarterin. Sie ist alleinerziehend, hat zwei Kinder im Grundschulalter.

Der Fachkräftemangel macht erfinderisch

Für das Klinikum ist die Teilzeitausbildung neu. Hintergrund ist der Fachkräftemangel in der Pflege. Man habe sich überlegt, wie andere Zielgruppen erreicht werden könnten, erklärt Yvonne Veit, die Leiterin des Bildungszentrums des Klinikums. Sie fühlt sich durch die Rückmeldungen bestätigt. Der erste Kurs ist auf Anhieb voll.

Man habe sich bewusst für eine komplett eigene Klasse entschieden, anstatt einzelne Teilzeitplätze anzubieten, erzählt Veit. Damit hebt sich das Klinikum von Angeboten in der freien Wirtschaft ab. Dort kann in der Regel nur der betriebliche Abschnitt in Teilzeit absolviert werden, die Berufsschule aber läuft in Vollzeit. „Die Berufsschulen haben da wenig Spielraum“, sagt die Beauftragte für Chancengleichheit der Bundesagentur für Arbeit, Patrizia Worbs. Es gebe noch zu wenig Teilzeitauszubildende, um eigene Klassen anzubieten.

Große Arbeitgeber können das Modell eher anbieten

Einem großen Arbeitgeber wie dem Klinikum fällt das leichter. Hier lernen die angehenden Pflegerinnen und Pfleger auch an der Schule in Teilzeit. Von den Nachtdiensten sind die Azubis allerdings nicht befreit, diese sind jedoch auf das vorgeschriebene Minimum reduziert. Baha Öztok wird für die Nachtdienste beispielsweise von ihrer Mutter unterstützt.

Yvonne Veit räumt ein, dass es auf den verschiedenen Stationen des Klinikums zunächst Bedenken gegen das neue Ausbildungsmodell gegeben hat. Auch unter den bereits ausgebildeten Pflegern sind Teilzeitkräfte. „Das macht die Dienstplanung schwierig“, so Veit. Nun stößt eine weitere Gruppe hinzu, die verlässliche Dienstzeiten benötigt. Inzwischen ist sie optimistisch, dass alles gut funktionieren kann.

Der Anteil an Teilzeitazubis ist noch gering

In Stuttgart bieten auch andere Arbeitgeber Teilzeitausbildungen an, darunter die Stadt. Doch die Bundesagentur für Arbeit und die Kammern sehen Potenzial. Bei der Handwerkskammer der Region sind 32 Teilzeitausbildungsverträge registriert – von 4000 insgesamt. Bei der Industrie- und Handelskammer waren Ende vergangenen Jahres 52 von 28 944 registrierten Auszubildenden in Teilzeit beschäftigt.

„In der Regel sind die Unternehmen bei dem Thema sehr zurückhaltend“, sagt Patrizia Worbs von der Bundesagentur. Sie hätten Bedenken, ob die Ausbildung in Teilzeit leistbar sei. „Was ist, wenn das Kind krank ist?“ – das sei eine Frage, denn die Hauptzielgruppe sind Frauen mit Kindern.

Das Interesse der Betriebe steigt

Dennoch macht Worbs einen positiven Trend aus: Landesweit habe sich der Anteil der Teilzeitausbildungen von 2011 auf 2012 von 294 zu 384 merklich erhöht, wobei die absoluten Zahlen niedrig bleiben. Dazu passt, dass die Kammern in Stuttgart steigendes Interesse der Betriebe melden. Es gebe mehr Anfragen sowohl von Betrieben als auch von Interessenten, berichtet der Teamleiter Ausbildungsberatung der Handwerkskammer, Lutz Schwaigert. „Die Teilzeitausbildung eignet sich vor allem für Firmen mit fester Betriebsstätte“, sagt er. Wer sich für die Teilzeitausbildung entscheide, dürfe „keine bürokratischen Hürden“ zu fürchten haben, sagt Schwaigert – auch zu den Betrieben.

„Das Interesse an der Teilzeitausbildung nimmt zu“, sagt Stefanie Thimm von der IHK Region Stuttgart. Im Herbst 2012 hätten nur 26 Teilzeitazubis in ihrer Statistik gestanden, halb so viele wie Ende 2013. Dennoch: „Noch immer haben viele Betrieben diese Möglichkeit schlicht nicht auf dem Schirm“, so Thimm. Die Teilzeitausbildung biete Unternehmen, die sonst nicht ausbilden könnten, eine Chance, sagt er. Das sagt auch Patrizia Worbs. Sie nennt die Steuerberaterin in Teilzeit, die sonst nicht ausbilden könnte, als Beispiel. Die Erfahrungen der Unternehmen, die in Teilzeit ausbilden, seien positiv, so Worbs. Gelobt würden die Lebenserfahrung und die hohe Motivation der Frauen. „Die Abbrecherquote ist geringer“, sagt Worbs. Auch für Baha Öztok steht fest: „Diesmal ziehe ich das auf jeden Fall durch“, sagt sie.