Der 50-jährige Physiker Jörg Wrachtrup ist Diamantenforscher an der Universität Stuttgart. Teil sechs der Serie „Kluge Köpfe“.

Stuttgart - Diamonds are a girl’s best friend, hauchte die schöne Marilyn einst ins Mikrofon. Richard Burton wusste das, als er 1969 auf einer Auktion seinen Agenten um ein selten schönes Stück mitbieten ließ. Der Auktionator eröffnete mit der Frage, ob jemand bereit sei, 200 000 Dollar zu bezahlen. Mehrere Arme zeigten nach oben. Bei 650 000 Dollar waren noch zwei Bieter übrig. Als der Preis eine Million Dollar erreichte, stieg Burtons Makler aus. Den Zuschlag bekam das Schmuckhaus Cartier.

 

Als der frisch verliebte Schauspieler von der Niederlage hörte, war er mächtig sauer. Umgehend telefonierte er vom Münztelefon eines Hotels in Südengland aus mit dem Anwalt des Schmuckhauses. Während er zwischen Lounge, Bar und Salon unaufhörlich Münzen ins Telefon warf, verhandelte er vor reichlich Publikum über den Preis. „Es interessiert mich nicht, wie viel er kostet!“, soll Burton geflucht haben. Am Ende ließ sich Cartier bei dem harten Steingeschäft erweichen und verkaufte das Stück an den Schauspieler, der es Liz Taylor schenkte, welche dem edlen Stein nicht nur ihren Namen gab, sondern auch stolz wie Bolle mit ihm bei Fürstin Grace Kellys 40. Geburtstag auftrat.

Von Diamanten, so lehrt diese kleine Geschichte, geht ein besonderer Zauber aus, dem vor allem Frauen erliegen – aber eben nicht nur. Auch Männer können dem magnetisierenden Reiz der funkelnden Unikate verfallen – solche wie Richard Burton oder auch Professor Jörg Wrachtrup, Direktor des 3. Physikalischen Instituts an der Uni Stuttgart. „Diese Steine“, sagt er, „haben ein unglaubliches Feuer.“

Hoch dotierter Preis für Diamantenforschung

Manchmal entstehen aus einem solchen Befund „brillante“ Ideen. Im Fall von Jörg Wrachtrup ist genau das passiert. Nicht von ungefähr wurde der Stuttgarter Experimentalphysiker für die Diamantenforschung mit einem 2,5 Millionen Euro schweren Preis des Europäischen Forschungsrats bedacht, dem wenig später der „deutsche Nobelpreis“ folgte: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verlieh ihm den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, ebenfalls mit 2,5 Millionen Euro dotiert. Wrachtrup kam zu der Ehre, weil er ein neuartiges Forschungsgebiet an der Schnittstelle zwischen Festkörperphysik und Quantenoptik erschlossen hat. Zweimal 2,5 Millionen Euro Preisgeld. Da sage noch einer, der Diamant sei kein gewinnbringendes Wertobjekt.

Die Herbstsonne wärmt den Vaihinger Campus am Pfaffenwaldring. Draußen schnattert im See eine Ente, drinnen versucht ein Professor zu erklären, warum seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen im vergangenen Jahr weltweit 1200-mal zitiert worden sind. „Wir haben das Fenster zu einer neuen Welt geöffnet“, sagt Wrachtrup leise, als würde er sich für die Superlative seines Befunds ein bisschen schämen. Wie diese neue Welt aussieht, kann er nicht sagen. Bis jetzt gibt es nur ein Fenster und dahinter ein Gebiet, das noch keiner bereist hat. Nur die Reiseprospekte, die gibt es schon. Und was sie verheißen, ist in der Tat großartig.

Serviert wird die wissenschaftliche Erklärung mit einem Espresso, den sich der 50-jährige Physiker im sechsten Stock auf dem Flur neben seinem Büro aus einer Maschine holt. Wrachtrup trägt ein blaues Hemd zur Jeans. Der Glanz des funkelnden Ruhms ist ihm nicht zu Kopf gestiegen, obwohl er mit seinem Team ein großartiges Forschungsfeld erschlossen hat. Diamanten lassen nicht nur die Herzen vieler Schmuckliebhaber höher schlagen. Auch Werkzeugbauer und Materialforscher schätzen diese besondere Form von Kohlenstoff wegen seiner extremen Härte und der guten Wärmeleitfähigkeit. Der Diamant beginnt nun dank Jörg Wrachtrup auch verstärkt, ein physikalisches Gebiet zu erobern, in dem man ihn zunächst nicht vermuten würde.

Wrachtrup impft die Edelsteine mit magnetischen Defekten

Mit seinen Mitstreitern hat sich der Professor darauf spezialisiert, hochreine Diamanten auf atomarer Skala zu manipulieren. Durch eine spezielle Implantationstechnik, der er sozusagen den letzten Schliff verpasst hat, können die Forscher die Edelsteine mit kleinen magnetischen Defekten impfen. Dazu schießen sie Stickstoffatome in das Material. Der Stickstoff schlägt ein Kohlenstoffatom heraus und nimmt dessen Platz ein. Dieser Defekt hat eine magnetische Komponente, denn im harten Kristallgitter des Diamanten bleiben bestimmte Kreiselzustände von Elektronen, sogenannte Spins, besonders stabil. Und genau das lässt sich nicht nur für die Quantenrechner in der Informationstechnik der Zukunft nutzen, sondern auch in der Bioanalytik und der Medizintechnik einsetzen.

Solchermaßen mit einem magnetischen Barcode versehene Juwelen, gemahlen zu winzigen Partikeln, könnten eines Tages medizinische Wirkstoffe markieren und damit segensreich in der Diagnostik wirken. „Die Zellbiologen haben größte Probleme damit, dass ihre Marker oft schnell verschwinden“, sagt Wrachtrup. „Die Nanodiamanten können lange in den Zellen bleiben, ohne sie zu schädigen. Und dabei sind ihre Dotierungen absolut fotosicher.“

Der Physiker nippt am Espresso. Neben der Tasse liegt ein Diamant, der kein echter ist. Ein Quarz, das Stück für 15 Euro. Manchmal verschenkt er solche Teile an Studenten oder Doktoranden. 40 Leute arbeiten bei ihm am Lehrstuhl. Wrachtrup ist beliebt, weil er weltoffen ist und zugleich bodenständig, einer, den man mögen muss. Aufgewachsen ist er auf einem landwirtschaftlichen Hof in Herford. Dort hat der Bauernsohn in jungen Jahren gelernt, in Arbeitskategorien zu denken, die sich nicht auf die Zeit von Montag bis Freitag beschränken. Bauer werden wollte er aber nie. „Schon in der Grundschule war mir klar, dass ich Wissenschaftler werde.“

Fünf Jahre Wissenschafts-Aufbau Ost

Wrachtrup studierte in Berlin und schloss 1994 mit einer Doktorarbeit ab, in der er sich mit der magnetischen Resonanz an einzelnen Molekülen befasste. Dem Thema blieb er treu, als er nach der Wende an die Technische Universität nach Chemnitz wechselte, um am Aufbau der Wissenschaftslandschaft Ost mitzuwirken. Fünf Jahre blieb er, ehe ihn 2000 der Ruf nach Stuttgart ereilte. „Das war für einen Physiker wie mich ein sehr attraktives wissenschaftliches Umfeld.“

Den Wechsel in den Süden hat er nicht bereut. „Ich bin hier heimisch geworden“, sagt der Professor, der mit Frau und Sohn in Vaihingen wohnt. Er schätzt die Natur beim Joggen im Rosental, die Kultur in der Landeshauptstadt und das wissenschaftliche Biotop auf dem nahen Campus, wo er sich mit Klunkern beschäftigt, die für seine Forschung künstlich hergestellt werden und doch unendlich wertvoll sind.

Der Professor stapft aus seinem Büro hinüber ins Labor. Zwischen Spiegeln, Alufolien, Lötkolben und Aceton-Fläschchen basteln Doktoranden an einem Versuch. Michael Klas ist einer von ihnen. „Das Arbeitsklima hier ist top“, sagt er, während sich zwei seiner Kollegen draußen auf dem Flur am Tischkicker entspannen. Der Vierte im Bunde, Sen Yang mit Namen, holt einen Diamanten aus dem Schrank, an dem geforscht werden soll. Der junge Chinese ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team und stolz, für den populären Professor schaffen zu dürfen: „Dies ist das Zentrum der Diamantenforschung.“ Wenn es nach seinem Chef geht, wird das auch so bleiben. „Wir werden mit dem Preisgeld das eine oder andere Experiment ermöglichen, dessen Finanzierung mir bisher zu riskant gewesen wäre“, sagt Wrachtrup. „Ich habe da noch eine ganze Menge Ideen.“

Den Edelsteinen, von denen die Monroe sang, will er in jedem Fall treu bleiben. Und vielleicht, sagt der Hausherr mit einem schelmischen Grinsen beim Abschied, werde er eines Tages nicht nur künstliche Diamanten impfen, sondern den Richard Burton geben und einen echten Diamanten für die Gattin kaufen, die immer nur vom Glanz seiner Forschung hört, aber nie etwas zu Gesicht bekommt. „Dieses Thema“, sagt Wrachrup, „sollte ich unbedingt angehen.“