Dreieinhalb Stunden extreme Anspannung: Kanzlerin Merkel hielt es während der Debatte über die Erweiterung des Eurorettungsfonds kaum auf dem Platz.  

Berlin - Es ist 11.55 Uhr am Donnerstag, als Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Stimmkarte in die Wahlurne des Bundestages wirft. Zur Entscheidung steht nicht nur die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF an, die CDU-Vorsitzende stimmt - so wie die anderen 610 anwesenden Abgeordneten - auch über die Zukunft ihrer Regierung ab.

 

45 Minuten später steht Peter Altmaier, Unions-Fraktionsgeschäftsführer und ein Vertrauter Merkels, in der Lobby vor dem Plenum und schaut nervös auf sein Handy. Endlich vibriert es und die Zahl 315 blinkt ihm entgegen. 315 Koalitionsabgeordnete haben der EFSF-Erweiterung zugestimmt, vier mehr, als für die Kanzlermehrheit von 311 Stimmen nötig sind. „Gerade ist mir ist ein Stein vom Herzen geplumpst“, gibt er zu.

Altmaier hat in den letzten Wochen in der Fraktion geworben und dafür gearbeitet, dass die Koalition - wie er sagt - dem Druck der Medien standhält und nicht nur eine eigene Mehrheit, sondern die Kanzlermehrheit erfüllt. Doch es war mehr als nur ein Druck der Öffentlichkeit und Altmaier weiß das auch. Zu uneinig war die Koalition aus CDU, CSU und FDP in den letzten Wochen, zu wichtig die Abstimmung über die Zukunft der gemeinsamen Währung Euro in Europas größter Volkswirtschaft. Die Koalition musste liefern, alles andere hätte die Kanzlerschaft Merkels in Gefahr gebracht.

Merkels Miene sprach Bände

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) eröffnete am Morgen um 9.01 Uhr die Abstimmung bereits mit der Bemerkung, dem Plenum stehe eine Entscheidung von „überragender Bedeutung“ bevor. Merkel kam eine Minute später, ihre große, hellbraune Tasche fest unter den Arm geklemmt, ging sie zu ihrem Platz und reichte FDP-Vizekanzler Philipp Rösler die Hand.

An ihrer Miene war abzulesen, dass es keine einfachen Stunden für sie werden würden - zu ungewiss, ob die Kritiker in den eigenen Reihen nicht nur die Abstimmung, sondern auch ihre Regierung und Kanzlerschaft torpedieren. Während der knapp dreistündigen Debatte saß Merkel selten ruhig an ihrem Platz. Sie sprach mit nahezu jedem ihrer Kabinettsmitglieder, wandte sich immer wieder an ihren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, ging in den Reihen der Unions- und der FDP-Fraktion auf und ab. Es war insgesamt unruhig in den Reihen der Koalition, die Anspannung konnte man an den Mienen der Verantwortlichen ablesen. Altmaier und FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen sprachen immer wieder mit Abgeordneten.

Die direkte Ansprache der als „Abweichler“ geltenden Parlamentarier vermieden die Koalitionsspitzen jedoch. Nur der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler kam in direkten Augenkontakt mit der Kanzlerin. Als er der Rede des Euro-Kritikers und CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch beklatschte, traf ihn Merkels strafender Blick. Schäffler zuckte leicht verdutzt mit den Schultern. Willsch bedankte sich nach seiner Rede fast unhörbar bei seiner Fraktion dafür, „dass ihr das ertragen habt“.

Bosbach sprach nicht im Plenum

Einer, der nicht vor dem Plenum am Donnerstag sprach, ist der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, ebenfalls ein „Nein“-Sager in den Reihen der Koalition. Der erzählte nach der Abstimmung fassungslos von einer „Konfrontation mit einem Parteikollegen“. Er habe nicht gedacht, dass es in „meiner Fraktion solche Wörter gibt“, sagte er nachdenklich.

Nachdem klar ist, dass die Kanzlermehrheit erreicht worden ist, ist der Fraktionsfrieden zumindest kurzfristig wieder hergestellt. Die Koalition hat sich noch einmal hinter der Kanzlerin gesammelt, der EFSF ist nicht an Deutschland gescheitert. Regierungssprecher Steffen Seibert kann twittern, „gut, dass Bundestag mit so großer Mehrheit für erweiterten Rettungsschirm EFSF gestimmt hat, Europa und die halbe Welt haben auf Deutschland geschaut“. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) betont strahlend, dass die Koalition „handlungsfähig“ ist. „Bei einer Regierung eigentlich eine Selbstverständlichkeit“, kommentiert ein Fraktionskollege - aber nur ganz leise.