Von Berichten alarmiert sucht die Politik nach Wegen, die Versorgung mit Medikamenten in Deutschland nachhaltig abzusichern. Im Gespräch ist der Aufbau einer nationalen Arzneimittelreserve. In den Fokus rücken auch die lukrativen Rabattverträge.

Berlin - Die Debatte um Lieferengpässe bei Arzneimitteln geht weiter. Ausgangspunkt waren Berichte darüber, dass ein vor allem in der Onkologie eingesetztes Antibiotikum nach einem Brand in einer chinesischen Produktionsstätte um die Jahreswende in Deutschland nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung stand. Derzeit listet das Bundesinstitut für Arzneimittel in Bonn 23 Arzneimittel, die „überwiegend zur Behandlung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen bestimmt sind“, bei denen es zu Engpässen kommt. Dabei kreist die aktuelle Diskussion um drei Punkte: eine Pflicht zur Meldung von Lieferengpässen, den Aufbau einer nationalen Arzneimittel-Reserve und den vermeintlich negativen Einfluss von Rabattverträgen der Krankenkassen auf die Versorgungssituation.

 

Pharma-Industrie hält nichts von der Meldepflicht

In der Koalition ist umstritten, ob eine Meldepflicht der Unternehmen an das Bundesinstitut bei Lieferengpässen eingeführt werden soll. Die SPD fordert das. Bislang erfolgen die Meldungen auf freiwilliger Basis. CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich zeigte sich im Gespräch mit unserer Zeitung „offen für die verpflichtende Meldung“. Bislang schien die Union hier eher skeptisch zu sein. Tatsächlich weist Hennrich darauf hin, es gebe „die Befürchtung, dass die verpflichtenden Meldungen zu Bevorratung und Hamsterkäufe“ führen könnten und damit sogar einen verschärfenden Effekt haben könnten.

Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe und Vorsitzender der Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft, nannte die Meldepflicht im Gespräch mit unserer Zeitung „notwendig“. Zudem findet es Ludwig sinnvoll, „wenn eine Garantie der Bereitstellung durch die Unternehmen ins Gesetz geschrieben wird“. Diese Gewährleistung der Verfügbarkeit gehöre zur Verantwortung der Hersteller. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ist gegenüber der Meldepflicht skeptisch. Eine Meldepflicht für Unternehmen werde „keinen einzigen Engpass verhindern“, sagte eine Sprecherin unserer Zeitung.

Reserven könnten beim Technischen Hilfswerk angelegt werden

Aus dem Südwesten kommt derweil die Forderung, die Hersteller zum Aufbau einer Reserve zu zwingen. Norbert Metke, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung in Baden-Württemberg, will, dass „die Zulassung eines Medikamentes, auch rückwirkend, an die Pflicht einer substanzspezifischen Vorhaltungsmenge durch den Hersteller für einen definierten Zeitraum gekoppelt wird“. Diese „nationale Arzneimittelreserve“ sei zentral vorzuhalten, sagte Metke unserer Zeitung, zum Beispiel beim Technischen Hilfswerk. Einen ähnlichen Vorschlag hatte auch Michael Hennrich bereits gemacht. Er will Großhandel und Hersteller verpflichten, die Lieferfähigkeit für eine Spanne von mindestens sechs Wochen zu gewährleisten.

Ein zur Zeit heiß diskutiertes Thema ist die Frage, ob die Praxis der Rabattverträge einen Einfluss auf entstehende Lieferengpässe haben. Solche Verträge schließen Krankenkassen für ihre Versicherten mit Herstellern über die exklusive Belieferung der Versicherten dieser Kasse mit einzelnen Arzneimitteln. Diese Rabattverträge sind ein wichtiges Instrument zur Dämpfung der Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Im Jahr 2015 hat die GKV 35 Milliarden Euro und damit 17,2 Prozent ihrer gesamten Leistungsausgaben für die Arzneimittelversorgung ausgegeben. Durch Rabattverträge konnten dabei 3,6 Milliarden eingespart werden.

Erhöhen Rabattverträge das Risiko?

Das Problem für die Versorgungssicherheit: Wenn eine Kasse bei einem bestimmten Medikament nur mit einem Anbieter abschließt, kann das zu Problemen führen. Wenn etwa bei Antibiotika der nicht zum Zuge gekommene Konkurrent die Produktion daraufhin nicht aufnimmt, aber der Vertragspartner plötzlich nicht liefern kann, können Engpässe entstehen. Das ist die Argumentation des BPI und des Verbandes „Pro Generika“, der die Interessen der Anbieter nicht patentgeschützter Medikamente vertritt. Ihre Forderung: Der Gesetzgeber müsse verpflichtend festlegen, dass Rabattverträge nicht nur mit einem Partner abgeschlossen werden dürfen. Die Kassen sehen darin nur die Vertretung wirtschaftlicher Interessen. „Heuchelei“ nennt Christopher Hermann, der Chef der Südwest-AOK diese Position. Rabattverträge seien „das einzige Instrument, Lieferausfälle unter Sanktion zu stellen“.