Bei Kneipenkonzerten spielen die ganz Großen von übermorgen und Taube können plötzlich wieder hören. Eine Tour durch Stuttgarts Livemusikszene abseits bekannter Spielorte, in zugequalmte Kellerbars und pentagrammgeschmückte Vorstadtbeizen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wer popmusikalische Extreme mag, sollte Konzerte in der Schleyerhalle meiden und stattdessen eine der nachfolgend erwähnten Konzertkneipen besuchen. Sofern man sich traut, denn im Konzertkneipenmilieu trifft man sich in pentagrammgeschmückten Grüften oder grotesk überfüllten Kellerbars – womöglich mit einem Grundschullehrer, der in seiner Freizeit aktiv der Musik des Teufels huldigt.

 

So jedenfalls wird der Rock’n’Roll seit Elvis’ Zeiten genannt, und genau diese Musikrichtung sowie ihre legitimen Varianten spielen die ganz Großen von übermorgen in Stuttgarter Konzertkneipen. Die Definition einer Konzertkneipe: rustikales Lokal, in dem man zu jeder Tages- und Nachtzeit sein Bier bekommt und wo regelmäßig Livemusik gespielt wird. Das Ganze gerne mit Nikotin gewürzt, denn die Etablissements, um die es hier geht, sind in aller Regel älter als das Rauchverbot.

Die Karte zeigt Konzertkneipen in Stuttgart:

Das Café Weiß zum Beispiel, über dessen Geschichte schon oft genug geschrieben wurde. Eher weniger bekannt ist, dass hier immer wieder Konzerte stattfinden – und das, obwohl „die Location eigentlich überhaupt nicht für Konzerte ausgelegt ist“, wie Kleon Medugorac weiß. Der Gitarrist hat mit seiner Band Any geschätzte 20 Konzerte im Café Weiß gespielt. Medugorac: „Es gibt da keine Monitorboxen und keine Bühne, man steht mitten im Raum und die Leute kleben einem zehn Zentimeter vor dem Gesicht.“ Was für die einen schrecklich klingt, ist für die anderen der siebte Konzerthimmel – und beschreibt recht gut, wie es bei einem Kneipenkonzergt aus Bandsicht zugeht.

Wunder hingegen passieren nur bei Konzerten im Café Weiß: „Es gab da so einen älteren Typen, der hing oft da rum und hat auch beim Ausschank geholfen. Nach einem Konzert kam er auf mich zu und hat sich überschwänglich bedankt“, erzählt Kleon Medugorac. Warum? „Er hat gemeint, er habe seit Jahren auf einem Ohr kaum noch etwas gehört. Er habe während des Konzerts neben der Box gestanden – und auf einmal sei sein Gehör zurückgekommen. Wegen der verzerrten Gitarre.“

Pentagramme aus Zollstöcken

Solche geradezu biblischen Momente sollte man in Gaby’s Gruft besser nicht erwarten. Wäre das Souterrain-Reich von Gaby Vernaleken nicht fensterlos, könnte man vielleicht den nahen Gaskessel sehen. So wandert der Blick direkt zur Deko: Plastikskelette in allen Größen etwa oder Pentagramme, die mit Zollstöcken einer großen Baumarktkette an die Wand genagelt wurden. Ein perfekter Ort für Untote, für Teufelsmusik? Na ja, meint Gaby, die früher im Schlampazius gekellnert hat. „Punks fühlen sich hier wohl und Schwermetaller, je nach Musikprogramm. Nur Satanisten, die haben hier nichts verloren.“ Allein, es könnte mehr los sein: „Wer fährt schon raus in den Osten?“, fragt die Wirtin.

Ja, wer eigentlich? Der Kreis jener Connaisseurs, die laute Musik und pilsbedingten Kater tags darauf besonders schätzen, ist überschaubar. Sofern eine Band nicht eh zum Inventar einer Kneipe gehört, müssen andere Argumente ziehen: etwa dass man bei solchen Konzerten an solchen Orten das Exzentrische findet, dass sich hier die Szene trifft oder Hipster, die mit echtem Insiderwissen auftrumpfen wollen: „Wie, du warst noch nie im Danziger Stüble?“

Dieser feine Spielort der Kneipenkonzert-Subktultur findet sich am äußersten Stadtrand, fast schon in Fellbach. Verantwortlich fürs Musikprogramm: Mike Schmid. Der 57-Jährige könnte zumindest im Bodensee-Tatort den bösen Buben mimen, so ist der Lederwestenträger mit Silbervokuhila der gut gelaunte Rock’n’Roll-Experte in der Bierbeiz mit dem Bollerofen – und im bürgerlichen Leben Grundschullehrer. „Nur Hip-Hop hatten wir hier noch nicht“, beschreibt Schmid das Musikprogramm. Für Kapellen aller anderen Genres ging im Danziger schon das Spendenbüchsle rum: etwa für italienische Krautrocker, eine nach dem Anarchisten Arthur Cravan benannte belgische Band oder die Gruppe Black Sheriff, deren Gitarrist fürs mitternächtliche Solo die Kneipe verlässt, um sich Schnaps in die Kehle gießen zu lassen.

Seite 2: Kneipenkonzerte und Kommerz

Auch im deutlich zentraler gelegenen Kap Tormentoso wird es oft voll – etwa wenn dort Größen der Stuttgarter Hardcore- und Punkszene auf der Bühne toben. Wer das traditionell völlig zugequalmte Untergeschoss der quasi immer geöffneten Bar kennt und sich rund 300 Leute darin vorstellt, weiß, wovon die Rede ist.

„Am liebsten hätte ich noch eine zweite Bühne, um allen Bandanfragen nachzukommen“, sagt Kap-Chef Tobias Messerle. An Bands, die in Kneipen spielen wollen, mangelt es nicht. Kein Wunder, Kneipenkonzerte sind die beste Gelegenheit, sich auszuprobieren. Wenn’s nicht läuft, schiebt man es auf die schlechte Anlage und den Alkohol. Der eventuell von einem Wolfenbütteler Kräuterlikörfabrikanten kommt, denn auch das sei zum Thema Kneipenkonzert gesagt: Das Konzept taugt für Marketingkampagnen, neben der Destillerie mit Hirsch-Logo gingen in letzter Zeit etwa der Alpenrocker Hubert von Goisern oder Hans Söllner auf „Wirtshaus-Tour“.

Es geht auch loungig. In der Conditorei zum Beispiel, die im Oktober zehn Jahre alt wurde und immer mittwochs zurückgenommene Musik zum Drink präsentiert. Ganz ähnlich: das Cannstatter Minibistro Sideways oder das Café Galao am Marienplatz – auch wenn Letzteres weniger als das benachbarte Arigato als Musikkneipe durchgeht. Schönes gedeiht auch an den Rändern, etwa im Ritterstüble in Heslach mit seinem sorgfältig ausgewählten Liveprogramm oder im Blaustern Timbales in Hofen, dessen Chef Ali Osman mit guinnessbuchverdächtiger Percussion wirbt.

Die Fantas in Botnang

Manchmal sieht der kleine Kneipenkonzertgänger auch die Großen für sich spielen: Die Imme 14 hatte für ihr erstes Wohnzimmerkonzert Eric Gauthier auf der Bühne. Auf der Künstlerliste des Café intus stehen Die Fantastischen Vier. Die haben aber nicht wirklich in Botnang gespielt, sondern sagten ihren Gig vor mehr als zwanzig Jahren ab – zu geringe Gage.

Reich wird bei Kneipenkonzerten eh niemand. Die Besucher sollen in der Regel spenden, und ja: wir sind in Schwaben. Für dieMusiker lohnt sich so ein Abend aber fast immer, denn Freibier ist für sie bei jedem Kneipengig selbstverständlich.