Das Asylpaket II war – im zweiten Anlauf – glücklich geschnürt, doch jetzt wird wieder verhandelt. Nun wird die Schuld verteilt.

Berlin - Als hätte Sigmar Gabriel das Unheil geahnt: In einem Gastbeitrag für „Spiegel Online“ schrieb er am Freitag noch, die Flüchtlingskrise habe zur Folge, „dass wir manchmal Fehler machen, Entwicklungen zu spät erkennen“. Auch wenn Gabriel ganz allgemein von den Herausforderungen durch den Zustrom Tausender Menschen sprach, traf seine Beschreibung ziemlich genau das aktuelle Dilemma der SPD. Denn vermutlich Gabriel hat bei den Verhandlungen über die Verschärfung der Asylgesetze einen gravierenden Fehler gemacht, und das SPD-geführte Familienministerium hat diesen zu spät erkannt. Nun sind die Spitzen der großen Koalition bemüht, einen Kompromiss zu suchen. Den Schaden hat vorerst die SPD.

 

In der Sache geht es um ein Detail beim Familiennachzug. Im November, als erstmals darüber verhandelt wurde, stimmte Gabriel einer Regelung zu, wonach Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus – im Fachjargon: subsidiäre Flüchtlinge – zwei Jahre lang ihre Familienangehörigen nicht nachholen können. Als subsidiär gelten reine Bürgerkriegs- und Kriegsflüchtlinge, die nicht individuell verfolgt werden.

Das Schleusermodell der „Ankerkinder“

Der Koalitionsfrieden hielt nur einen Tag, bis Gabriel sich von Unionsseite sagen lassen musste, die Regelung betreffe künftig deutlich mehr Menschen als bisher. Denn nun sollen auch Syrer – und Minderjährige, die ohne Eltern hier ankommen – unter diese Regel fallen. Gabriel wollte das anders verstanden haben, weshalb zum Ärger von CDU und CSU neu verhandelt werden musste. Die SPD galt fortan als „Blockierer“ des Asylpakets II, mithin also als Partei, die eine rasche Lösung der Flüchtlingskrise durch Taktieren verhindere. Allein schon dieser Vorwurf ärgerte Gabriel mächtig.

Ende Januar tagte die Runde der Parteichefs erneut, wiederum wurde über die Begrenzung des Familiennachzugs gestritten, wiederum obsiegte die Union. Der Passus sollte in der ursprünglichen Fassung ins Gesetz, ergänzt um die Aussage, dass in einem zukünftigen europäischen Kontingent-Programm vornehmlich Flüchtlinge aus den großen Flüchtlingslagern geholt werden, deren Familienangehörige schon in Deutschland sind. Das war Gabriels klitzekleiner Nachverhandlungserfolg. Übersehen hat er dabei offenbar, dass die Sache mit den Minderjährigen nicht gestrichen worden war. Mit anderen Worten: Es wurde vereinbart, dass die Eltern unbegleiteter Minderjähriger erst nach zwei Jahren nachkommen dürfen.

So soll ein Schleuser-Geschäftsmodell zerstört werden. Dabei werden Kinder nach Deutschland gebracht, um dort „Anker“ zu werfen. Diese „Ankerkinder“ können dann ihre Eltern nachholen, die sonst keine Chance auf ein Aufenthaltsrecht hätten. Der um zwei Jahre verschobene Familiennachzug, so das Kalkül, könnte Eltern davon abhalten, ihre Kinder auf die gefährliche Reise zu schicken. Dessen ungeachtet gibt es in der SPD die weit verbreitete Überzeugung, dass unbegleitete Kinder das Recht haben sollen, ihre Eltern sofort nachzuholen, unabhängig davon, aus welchem Grund sie nach Deutschland gekommen waren.

Familienministerium nimmt Schuld auf sich

Bei den jüngsten Verhandlungen im Kanzleramt war dieser Aspekt des eingeschränkten Familiennachzugs „kein Thema“, wie eine Kanzleramtssprecherin erklärte. Allerdings gingen wohl alle in der Runde – außer offenbar Gabriel – davon aus, dass die Regelung sowieso unstrittig sei. Ein entsprechendes Papier wurde auch mit der Stimme Gabriels im Kabinett gebilligt. Diese Vorlage hatte zuvor alle damit befassten Ministerien durchlaufen, auch das von Manuela Schwesig (SPD) geführte Familienministerium. Dort nahm man zwar die Minderjährigen-Regelung zur Kenntnis, deren „Tragweite“ aber sei aber nicht erkannt worden, räumte nun eine Sprecherin ein. „Wir haben das falsch eingeschätzt“, bekannte die Vertreterin des Ressorts. Schuld soll ein verbeamteter Staatssekretär sein, dem die Brisanz der Vorlage nicht aufgefallen war. Gabriel wäre nach dieser Version aus dem Schneider.