Trotz der Differenzen bei S 21 und Straßenbau steuert Grün-Rot den Zielhafen an. Mitte der Woche soll der Koalitionsvertrag unterschrieben werden.

Stuttgart - Knapp einen Monat nach dem historischen Wahlsieg über Schwarz-Gelb steht der Koalition von Grünen und SPD in Baden-Württemberg so gut wie nichts mehr im Wege. Die Arbeiten am Koalitionsvertrag seien nach dreieinhalb Wochen fast abgeschlossen, sagte SPD-Landesvize Leni Breymaier am Samstag der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. „Wir sind in Grundzügen fertig.“ Es gebe nur noch in dem einen oder anderen Fall weiteren Abstimmungsbedarf. Anfang der Woche hatten SPD und Grüne einen mühsamen Kompromiss beim Hauptstreitthema Stuttgart 21 gefunden.

 

Der Grünen-Haushaltsexperte Alexander Bonde sagte der dpa, auch in der Kontroverse über den Straßenbau hätten sich die künftigen Partner angenähert. „Da werden wir am Dienstag ein Ergebnis finden“, sagte das Mitglied der großen Verhandlungskommission. Die SPD hatte darauf gepocht, dass Grün-Rot rund 50 Millionen Euro mehr für Erhalt und Neubau der Straßen ausgibt als die schwarz-gelbe Regierung. Die Grünen wollten das Geld für Schienen- und Radverkehr ausgeben.

Mitte kommender Woche wollen der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und SPD-Landeschef Nils Schmid den Koalitionsvertrag präsentieren. Für den 12. Mai ist im Landtag die Wahl Kretschmanns zum ersten grünen Regierungschef geplant.

Beratung über Bildung, Finanzen und Verkehr

Seiner Kür sieht Kretschmann mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn er hält - trotz der Einigung über Stuttgart 21 - das Zustandekommen der ersten grün-roten Landesregierung noch nicht für gesichert. „Dafür muss ich erst vom Landtag gewählt sein. Und da die Wahl geheim ist, ist dies der Stresstest für Grün-Rot“, sagte Kretschmann der „Bild am Sonntag“.

Die große Verhandlungskommission hatte am Samstag hinter verschlossener Tür vor allem über die Bereiche Bildung, Finanzen und Verkehr beraten. Bereits am Mittwoch hatten sich Grüne und SPD auf eine Volksabstimmung über das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 geeinigt. Beim Thema Bildung seien noch letzte Finanzierungsfragen zu klären, sagte Bonde. „Da geht es darum: Was kann wie schnell umgesetzt werden.“ Grüne und SPD wollen unter anderem die Studiengebühren abschaffen und die Ganztagsschulen sowie Kinderkrippen schneller ausbauen als Schwarz-Gelb.

Am Samstagvormittag beklagten sich die Grünen nach dpa-Informationen darüber, dass die SPD öffentlich die Haltung der Grünen beim Thema Straßenverkehr kritisiert hatte. Die Grünen verhielten sich „sehr ideologisch und realitätsblind, getreu dem Motto: Die Straße, mein Feind“, hatten die „Stuttgarter Nachrichten“ einen Verhandlungsteilnehmer von der SPD zitiert.

Das Land soll gentechnikfrei bleiben

Breymaier berichtete, Grüne und SPD hätten sich unter anderem auf eine sogenannte Bildungsfreistellung geeinigt. Danach könnten sich Arbeitnehmer - wie bereits in anderen Bundesländern üblich - an fünf bezahlten Tagen im Jahr fortbilden. Die Kosten für die Freistellung muss der Arbeitgeber übernehmen, sagte die Verdi-Landeschefin. „Das ist ein Riesenschritt in Richtung lebensbegleitendes Lernen.“

Der haushaltspolitische Sprecher der Bundestags-Grünen, Bonde, berichtete, die Partner hätten sich auf die Grundzüge der Landwirtschaftspolitik geeinigt. „Wir haben uns darauf verständigt, dass Baden-Württemberg gentechnikfrei bei Pflanzenanbau und Tierzucht bleiben soll.“ Grüne und SPD seien überzeugt, dass dies ein Marktvorteil für die Landwirtschaft im Land sei.

Darüber hinaus wolle Grün-Rot Bauern fördern, die von konventioneller Landwirtschaft zum Biolandbau wechseln wollten. In der dreijährigen Umstiegsphase, in der die Landwirte noch keine Bioprodukte verkaufen könnten, solle es Hilfen vom Land geben. „Da sehen wir eine unheimliche Marktchance“, sagte Bonde. Der Bundestagsabgeordnete hatte jüngst darauf gepocht, dass die Grünen das Agrarministerium führen dürfen.