Seit Wochen versuchen IS-Milizen, die syrische Kurdenstadt Kobane einzunehmen. Imre Török, der Autor und Bundesvorsitzende des deutschen Schriftstellerverbands ist mit türkischen und kurdischen Kollegen an die syrische Grenze gereist. Ein Gastbeitrag.

Kobane - Ob ich an einem Friedensprojekt von Schriftstellern teilnehmen würde, haben mich Autorenfreunde aus der Türkei gefragt. Nachdem ich über Details der geplanten Aktionen informiert worden war, wurde es mir mehr als mulmig. Kulturpolitische Reisen hatten mich auch in der Vergangenheit in die Türkei geführt. Zuletzt war ich als internationaler Beobachter beim Gerichtsverfahren gegen die Schriftstellerin Pinar Selek in Ankara. Aber an die syrische Grenze? Nach Kobane?

 

Die Nachrichten über die vor kurzem noch verzweifelte Verteidigung der Stadt, über die Barbarei des IS in Syrien und im Irak verfolgte ich seit langem. Das Schicksal der bedrohten Menschen erfüllte mich mit großer Sorge. Sollte ich es wagen, in jene Region zu fahren? Kollegen schrieben mir, dass sie auch angsterfüllt seien, aber nach menschlichem Ermessen die Reise sicher vorbereitet hätten. Ich buchte den Flug nach Ankara, von dort flog ich nach Diyarbakır, wo die Autorengruppe sich getroffen hat, ich war der einzige Teilnehmer aus dem Ausland.

Viele hatten Angst und sagten ab

Einige aus der Türkei hatten kurzfristig abgesagt und nannten offen den Grund: Angst. So machten sich vierzehn Teilnehmer des Projekts mit einem Kleinbus auf den Weg an die drei Stunden entfernte syrische Grenze bei Kobane. Mit zwei Ausnahmen nur Schriftstellerinnen. Mit dabei auch die Initiatorinnen dieses Friedensprojekts, die Lyrikerin und Romanautorin Arzu Demir und die Schriftstellerin Tekgül Ari aus Ankara. Das Ergebnis der Reise sollte und wird ein Buch sein, wir werden über Lebensschicksale der Menschen in der Region literarische Beiträge schreiben. Der Buchtitel in einem türkischen Verlag wird „Die Saat des Krieges“ heißen. Unterwegs sind wir dreimal von der Polizei angehalten und kontrolliert worden, man gab unsere Personalien telefonisch durch. Es hat mich erstaunt, wie gelassen meine Mitreisenden die Kontrollen nahmen und mit den ernst dreinschauenden Polizisten sogar witzelten, dass sie sich über die Raucherpause freuten. Später erfuhr ich, dass sie unser genaues Ziel nicht genannt hatten.

Türkische und kurdische Schriftsteller. Wie geht das zusammen, fragte ich unterwegs. Die Bedrohung, die Verfolgung der Menschen, die Massaker, die unfassbaren Grausamkeiten, die auch und insbesondere Frauen und Kinder auf der Flucht erleben, diese Bilder aus den Nachrichten haben alle ethnischen und religiösen Fragen weit in den Hintergrund gestellt, erklärten sie mir. Über und für die Opfer zu schreiben, darauf allein komme es an. Mein jüngstes Buch „Briefe aus dem siebten Himmel“ beschreibt die Opferperspektive. Davon wusste eine Teilnehmerin, es war ein Grund für meine Einladung.