Es wird Zeit, Abschied zu nehmen: Das Schlampazius schließt bald. Und Loretta hat auch nur noch eine Schonfrist. Die Stadt wird trister. Dafür gibt’s Burger satt und Gin en masse, um den Frust runterzuspülen.

Stuttgart - Es war ein schöner Leichenzug. Vier Kilometer trug die Menge den Sarg durch den Stuttgarter Osten in Gedenken an das Schlampazius. Jenen Sarg, der jahrzehntelang hinter dem Tresen lag. Übrig geblieben war er vom Inventar des Theaters der Altstadt, das nach einem Brand seine Kulissen und Requisiten ausgelagert hat, abgeholt wurden sie nie, erinnert sich Wirt Ramon (64). Der Sarg war Blickfang, nun wird er zum Symbol der Grablegung des Schlampazius. Der Marsch war voreilig zwar, die Grabrede muss man erst zum Jahresende halten, aber man kann schließlich nicht oft genug zu Ehren der Kneipe und von Ramon anstoßen.

 

Zum Jahresende ist Schluss

Wenn Eigentümer Dinkelacker das Haus an der Wagenburgstraße im neuen Jahr saniert, wird ein Stück Stuttgart verschwunden sein. 45 Jahre lang wehrte sich das Schlampazius gegen die Moden der Welt. Seit 43 Jahren ist Ramon Amar Minon hier, anfangs als Helfer, seit gut 30 Jahren als Patron. 1973 kam er nach Stuttgart, weg wollte er aus Spanien, weg von den Faschisten. In Stuttgart verpasste er beim Umsteigen den Zug nach München, lief die Königstraße hinauf, landete im Bohnenviertel im El Rincón. „Da saßen die Gastarbeiter der ersten Generation und haben sich um mich gekümmert“, erinnert er sich. Er blieb in der Stadt, hangelte sich von Job zu Job. Eines Tages, 1975 war das, landete er im Schlampazius. Wirt Martin Maiwald sprach perfekt Spanisch, „er hat mich adoptiert“, sagt Ramon. Maiwald wurde krank, starb Mitte der 80er Jahre. Was tun? Ramon fand, die Kneipe solle so bleiben, wie sie war. Also bewarb er sich bei Dinkelacker um die Nachfolge. Ein Satz bescherte ihm den Zuschlag: „Ich will viel Bier verkaufen.“ Ehrlich, unverkünstelt – Ramon und das Schlampazius werden uns fehlen.

Die Biotope verschwinden

Auch im Süden ist so ein Biotop bedroht. Loretta Petti und ihr Lokal Alimentari an der Römerstraße sollen raus, der Eigentümer lässt nur seinen Anwalt sprechen und ausrichten, dass der Hausherr selbst dort einziehen will. Nach uns die Ginflut. Ist das die Zukunft? Die ganz eigenen Orte verschwinden, dafür gibt’s Hipsterfutter satt. Burgerläden und Ginbars sind die neuen Nagelstudios, allenthalben zu finden; bezeichnend für Zeiten, in denen Grünkohl als „Kale“ verkauft wird. Wobei man sagen muss, Stuttgart hat nicht nur den Wutburger erfunden, sondern auch den Hamburger nach Deutschland eingeführt. Der gebürtige Leipziger Udo Höroldt machte 1962 an der Bolzstraße eine Frittenbude auf. Anfangs verteilte er Probiererle, weil die Leute misstrauisch waren. War halt was anderes als saure Rädle. 1964 verkaufte er in „Udos Imbiss Ecke“ in der Calwer Straße erstmals Hamburger. Als „Udo Snack“ schrieb der Laden Geschichte.

Vorsicht vor dem Burgerschreck

Ginge es nach dem Burgerwillen, müsste Ramon ewig weitermachen. Doch das Haus wird saniert, deshalb ist Schluss. Ramon will in Stuttgart bleiben, „hier habe ich alle meine Freunde“. Was er macht, weiß er noch nicht. Die Plakate nimmt er mit, seine Wohnung wird zum Museum für 45 Jahre Konzertgeschichte der Stadt. Mora Fütterer, Micha Rieger und Sebastian Heitzmann übernehmen, wollen im Mai aufmachen, den alten Geist erhalten. Ob’s gelingt? Man darf gespannt sein. Oder ob’s Burger mit Blauschimmelkäse gibt und Gin in 180 verschiedenen Wacholderschattierungen? Wehe Leute, dann kommt der Burgerschreck.