Hersteller strengen sich enorm an: Produkte können heute immer mehr. Allerdings hat unsere Kolumnistin festgestellt, dass Verkäufer im Gegenzug immer weniger wissen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Auch in Karnevalsliedern können große Weisheiten stecken. Ich habe eine wichtige Erkenntnis bei dem berühmten Dachdeckermeister Ernst Neger gelernt, der einst sang: „Im Winter, wenn Schnee liegt, ist’s kalt.“

 

Jetzt ist es Winter. Es liegt Schnee. Und es ist kalt. Deshalb will ich meine Ärmel nicht hochkrempeln. Trotzdem gibt es nur noch Blusen und Hemden, deren Ärmel mit Laschen und Knöpfen ausgestattet sind. In meinem Fall nicht zum Hochkrempeln, sondern zur bloßen Bügelerschwernis.

Andererseits sind solche Laschen und Knöpfe auch eine nette Geste. Sie sind ein kostenloses „En plus“. Eine kleine Aufmerksamkeit der Hersteller, die mit viel Herzblut die schnöden Produkte zu wahren Wundern werden lassen. Antivirale Taschentücher sagen dem Schnupfen den Kampf an. Bücherregale laden das Handy auf. Es gibt jetzt sogar ACE-Salat. Da bekommt man die Vitamine A, C und E kostenlos obendrauf – vom Küchenchef höchstpersönlich.

Verkäufer sind überfordert

Eine Freundin spricht allerdings gern vom Kompensationsprinzip. Sie behauptet: Je ausgetüftelter, raffinierter und vielseitiger die Produkte seien, desto, ich zitiere das völlig neutral, „dämlicher“ würden die Verkäufer. Ihre gesamte Aufmerksamkeit sei absorbiert von vergrößerbaren Kapuzen und einsetzbaren Futtern, von abnehmbaren Krägen, verlängerbaren Ärmeln und abzippbarem Kinnschutz. Und vor lauter abzippbaren Kunstpelzrändern und erweiterbaren Pattentaschen könnten sie sich nicht mehr darum kümmern, ob es den Pullover auch noch eine Nummer größer gibt. „So wie es da hängt“, wurde der Freundin kürzlich beschieden, aber das zu enge T-Shirt sehe doch auch „goldig aus.“

Als ich dieser Tage eine Jacke anprobieren wollte, pirschte sich sofort eine Verkäuferin an und erklärte mir bedeutungsvoll, dass das eine Funktionsjacke sei. Was das meine, wollte ich wissen. Na ja, sagte die Dame und war plötzlich sehr genervt, „die kann man auch im Winter anziehen“.

Wahrscheinlich schwimmt die sogar in Milch! Sofern man den Kinnschutz abzippt.

Ein Leser schrieb mir jetzt aber von einem ganz besonderen Verkaufsgespräch. Eine Dame hatte sich eine Hose schneidern lassen, war aber bei der Anprobe überhaupt nicht glücklich damit, zupfte hier und dort am Stoff und sagte schließlich: „Die Hose macht dick.“ Worauf der Schneider ungerührt erwiderte: „Gnädige Frau, die Hose macht nicht dick, Sie sind dick.“