Hinter den alltäglichen Missgeschicken steckt mitunter höchste Kunstfertigkeit. Unsere Kolumnistin Adrienne Braun besitzt diesbezüglich sogar herausragendes Talent.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Ohne angeben zu wollen: aber ich bin ganz außerordentlich talentiert. Kunstfertig, geschickt, fast könnte man von Virtuosität sprechen. So habe ich dieser Tage energisch an meiner Jalousie gezerrt, worauf die Dübel aus der Wand rissen. Na ja, werden einige sagen, dazu bedarf es keiner besonderen Fertigkeiten, das haben schon ganz andere hinbekommen. Aber während die Jalousie auf den Boden krachte, sauste die Schnur an meinem Arm vorbei. Satt, präzise und blitzschnell hinterließ sie eine schicke Brandwunde. Wie mit dem Lineal gezeichnet.

 

Chapeau! Hätte ich nicht ein Kühlpad holen müssen, ich hätte den Hut vor mir gezogen und laut applaudiert.

„Murphys Gesetz“, sagen die Leute in solchen Fällen gern. Was schiefgehen kann, gehe auch schief. Weil der Henkel fatzt, krallt man die Einkaufstüte fest und reißt sich den Nagel ein. Beim Bücken rutscht das Handy hinten aus der Hosentasche und scheppert die Brille auf den Asphalt. Angeblich landen wegen „Murphys Gesetz“ Stullen ja auch immer auf der Butterseite. Dabei stimmt das gar nicht. Schuld ist allein die Flughöhe. Man muss sich nur einen Esstisch von zwei Meter Höhe anschaffen, dann landet das Nutella-Brot sicher und sauber auf dem Teppich. Man tritt auch nicht mehr rein, weil man ja unter der Decke speist und mit den Füßen baumelt.

Wie kommt die Münze in den Ärmel des Mantels?

Geschicklichkeitstest: befördern Sie bei einem handelsüblichen Regenmantel eine 10-Cent-Münze so in das Innenfutter des linken Ärmels, dass die Münze permanent an die Armbanduhr stößt. Aber Achtung: die Manteltaschen haben keine Löcher.

Eine Freundin hat sich im Umgang mit Vögeln geradezu artistische Fähigkeiten angeeignet. Anderen Leuten machen Vögel auf den Kopf oder auf die Schulter. Sie dagegen hat dieser Tag mitten auf der Straße ein Kunststück aufgeführt. Im Laufen, exakt beim Schritt nach vorne, hat ihr ein Vogel punktgenau einen Streifschuss auf den Unterschenkel platziert.

„Das ist aber noch gar nichts“, sagte sie fast überheblich. Sie hat einmal kurz vor einem Gewitter die Straße überquert. Als sie den Fuß aufs Trottoir setzte, flog ihr eine Amsel vor die Nase. Die Freundin wollte schon ihr Bein strecken für ihr legendäres Unterschenkel-Streifschuss-Kunststück. Da aber jagte ein Blitz vom Himmel in die Amsel hinein – die nach dieser wundersamen Koinzidenz nach Hähnchen riechend auf den Boden sank und leise vor sich hin kokelte.