Man macht sich so seine Gedanken über die Mitmenschen. Was man nicht weiß, erfindet und unterstellt man einfach – meint unsere Kolumnistin Adrienne Braun.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Ich habe so meine Vermutung. Einen Verdacht. Man macht sich schließlich seine Gedanken. Hält Augen und Ohren offen, recherchiert, observiert, kombiniert. Deshalb werde ich eines Tages den Täter überführen – den elenden Übeltäter, der in unserer Teeküche immer sein schmutziges Geschirr abstellt.

 

Im Grund wohnt doch in jedem von uns ein Sherlock Holmes. Ein „Tatort“-Kommissar. Ein Erik Ode. Man unterstellt, bezichtigt, argwöhnt und spekuliert. Man „könnte wetten“, dass der Nachbar ein Langweiler ist. Man „legt die Hand ins Feuer“, dass die Kollegin fremdgeht. Der ist – „hundert Pro“ – ein Rabenvater. Bei dem – „da geb ich meine Oma drauf“ – läuft nichts. Ich kenn doch meine Pappenheimer!

Oder die Nachbarn. Als ich kürzlich abgelaufene Joghurts und Dressings im Biomüll fand, hatte ich sofort einen Anfangsverdacht. Ich habe Spuren sichergestellt, Sachbeweise aufgenommen und das „American Caesar Dressing creamy cheese taste“ erkennungsdienstlich ausgewertet. Ich habe Zeugen kriminaltaktisch verhört und eine Augenscheinseinnahme des „Nonfat Yogurt light and fit“ initiiert. Als sich eine lückenlose Indizienkette ergab, war die Tat leider, leider schon verjährt und musste ich die Asservate entsorgen. Im Plastikmüll.

Wer weiß, was die anderen über einen reden

Aber Hauptsache, ich weiß, wer es war. So wie einige Kolleginnen mit einem Kollegen zwar noch nie ein Wort gewechselt haben, aber überzeugt sind: Der ist pervers. Ein Lüstling. Er macht „so schweinische Spielchen“. Sie wissen sogar welche: „Der trägt beim Sex einen Latexanzug. Mit Gesichtsmaske.“

Womöglich denken das andere auch von mir. Oder fantasieren sich irgendwelche kruden und schlechten Dinge über mich zurecht. Als kürzlich ein mahnender Zettel in der Teeküche hing, waren alle überzeugt, ich hätte ihn geschrieben. Dabei bin ich doch nicht blöd! Ohne schmutzige Tassen könnte ich niemanden verdächtigen. Es gäbe keine Beweisstücke mehr. Ich müsste meine Unterstellungen ins Blaue hineinfantasieren – und meine kriminalistische Nebentätigkeit an den Nagel hängen.

Wobei an dem Nagel garantiert schon wieder irgendein schmutziges Handtuch aus unsere Teeküche hängen wird. Was einer heimlich benutzt, aber natürlich nicht wäscht. Wobei ich so meine Vermutungen habe, wer das ist. Man macht sich schließlich seine Gedanken. Ich will niemanden anschwärzen. Ich sage nur: Latex. Mit Gesichtsmaske.