Die Altvorderen waren einst in der Lage, in Stuttgart ein Interimstheater zu bauen, das als Meisterwerk galt. Ob Geschichte sich wiederholt? StZ-Lokalchef Holger Gayer ist skeptisch.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Kinder, wir sollten uns mal wieder mit dem Interim beschäftigen. Wer weiß, was das ist? Richtig: ein Begriff aus dem Lateinischen, der eine Zwischenzeit beschreibt oder, laut Duden, auch eine Behelfsmaßnahme, um nicht zu sagen: eine Notlösung. Wir kennen das: Im Angesicht der Bagger erscheint ganz Stuttgart längst wie ein groß angelegtes Interim. Dessen wichtigste Komponente ist der Stau, der wiederum dazu führt, dass der Betrachter genügend Zeit hat, die Schönheit der Baustellen zu bewundern. Das ist die schwäbische Version der Entschleunigung: Nixtun zum Nulltarif.

 

Zum Glück kommen immer wieder neue Baustellen dazu. Ganz besonders darf man sich auf die Interimsspielstätte der Oper freuen. Auf dem Eckensee soll das Notlösungsgebäude ja entstehen, was einen hochrangigen Kulturprotz aus dem Land zu einem spontanen Aufschrei verleitet hat: „Um Gottes willen, dann schwimmen im Orchestergraben ja die Enten . . .“

Die Altvorderen haben ein brauchbares Interim gebaut

Keine Sorge: das wird natürlich nicht geschehen, denn ohne Zweifel werden Politiker, Kulturschaffende und Baumeister darauf achten, dass alle (und alles) dicht bleiben. Schließlich wollen sie später nicht wie begossene Pudel dastehen, da man doch weiß, dass es die Altvorderen einst auch geschafft haben, ein brauchbares Behelfstheater zu errichten. 1902 war das. Unmittelbar nachdem ein Großfeuer das alte Hoftheater am Schlossplatz zerstört hatte, beschloss „eine aus Vertretern des Staates, der Krone und der Stadt bestehende Kommission unter dem Vorsitz Seiner Majestät des Königs den Bau eines Interimstheaters im Schlossgarten in der Weise, dass der Staat die Ausführung des Baues übernehmen sollte, während die Krone und die Stadt Beiträge leisten sollten“. Ausweislich der eben zitierten „Chronik der königlichen Haupt- und Residenzstadt Stuttgart 1902“ habe „der Gemeinderat bereitwillig einen Beitrag in Höhe von 250 000 Mark“ genehmigt und sich ansonsten nur noch dazu verpflichtet, „die Kosten für Anlage und Unterhaltung der das Interimstheater umgebenden Wege“ zu übernehmen. Merke also: der heutige Finanzbürgermeister Föll steht auf sicherem historischem Boden, wenn er nur einen Festbetrag für die Opernsanierung geben will, falls das Land keinen externen Projektsteuerer benennt.

Der damalige Hofwerkmeister Langleiter freilich war ein Käpsele. Zum einen, so berichtet der Chronist, durfte er mit Zustimmung des Königs „zum Neubau die noch brauchbaren Materialien aus den Trümmern des abgebrannten Hoftheaters gebrauchen“ (was natürlich ein weiser Beitrag von Wilhelm II. zur Kostenreduzierung war und darüber hinaus auf einen schonenden Umgang mit Rohstoffen hinweist). Zum anderen sei beim Bau des Interimstheaters zwar „die Zweckmäßigkeit als Hauptgedanke in den Vordergrund gestellt“ worden, aber gleichzeitig habe man auch Wert darauf gelegt, „dem Gebäude gefällige Formen zu geben“. Diese Absicht sei „glücklich erreicht“ worden, weswegen sich „das neue Haus als eine schmucke, anmutige Zufluchtsstätte der so jäh aus ihrem als Sitze verjagten Musen“ darstelle. Und das Beste daran: „Am 19. April begannen die Grabarbeiten und am 12. Oktober konnte das Theater eröffnet werden.“ Wohlgemerkt: im selben Jahr 1902. Und so urteilt der Chronist: Dieses Interimstheater sei „gewiss ein Meisterstück“.

Es gibt manche Bühnen für Lustspiele aller Art

Wohl wahr. Vielleicht sollte einer der heutigen Entscheidungsträger hurtig ins Archiv springen und die Pläne von damals ausgraben. Dann könnte man was sparen. Dumm nur: dort, wo 1902 das Stuttgarter Interimstheater errichtet wurde, wird im Moment eine andere Bühne für neue Lustspiele umgebaut: der Landtag.