Im Kreis aufgelesen: Süßes und Saures. Diese Woche zählt Sindelfingen ein paar Passanten, Leonberg versucht den Anschluss – und alle lieben Sensapolis.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Sindelfingen gibt nicht auf. Seit Jahren hofft die Wirtschaftsförderung, dass in der Innenstadt endlich der Bär tanzt. Diese Woche ist es wieder so weit. Bis Samstag, 26. Juli, lungern junge Menschen auf den Straßen und in der Fußgängerzone herum, die für Geld offenbar so gut wie alles machen. Als Werkzeug reicht ihnen für diese Aufgabe eine Hand: Sie sollen die Passanten zählen, die sich in die Innenstadt verirrt haben. Das ist ein harter Job. Wenn sie nur ein paar Mal blinzeln müssen, weil die Sonne zu tief über Sindelfingen hängt, könnte am Ende eine schwarze Null auf ihrer Liste stehen.

 

Sollten bilanzabhängige Erfolgsprämien gezahlt werden, dürfen die Hilfskräfte auf keinen Fall auf die Stuttgarter Königstraße schauen. Das würde zu sofortiger Abwanderung führen, was Sindelfingen noch menschenleerer machen würde: An einem Samstag im März dieses Jahres, möglicherweise sogar verregnet, flanierten dort binnen einer Stunde 12 655 Menschen an den Volkszählern vorbei. Die müssen richtig gehend ins Schwitzen gekommen sein! Apropos schwitzen. Die Sindelfinger Wirtschaftsförderung ist immerhin nicht völlig lebensmüde – und lässt im schönen Sommer die Fußgänger beziffern, wenn nicht auch noch die Eisdielen wie viele andere Läden verrammelt sind. So kamen die Zählkräfte zur besten Zeit am Samstagmittag auf dem Marktplatz auf einen versprengten Haufen von 1600 Leutchen.

Die Böblinger sind viel pragmatischer

Die Böblinger haben sich bislang dieses Szenario erspart. Nur „anlassbezogen und pragmatisch“ würde in der Innenstadt die Laufkundschaft erfasst, erklärte die Verwaltung vor einiger Zeit. In der Bahnhofstraße soll einmal genauer hingeschaut worden sein, aber die Zahlen sind untergetaucht. Mit solch nebulösen Angaben ist jetzt Schluss. Denn mit den Mercaden sitzt der Stadt ein gewaltiger Koloss im Nacken: 30 000 Einkäufer soll das Einkaufszentrum künftig in die Stadt locken, hat der Investor großspurig angekündigt – allerdings sicher nicht die wenigen in der Innenstadt verbliebenen Sindelfinger. Dafür aber die jungen Leute, die sich dort mit einer ermüdenden Aufgabe ein Taschengeld verdient haben.

Wie Verzweiflungstaten klingen angesichts dieser künftigen Konkurrenz Meldungen aus Leonberg. Die Altkreis-Hauptstadt sucht plötzlich Anschluss an den Rest der Welt! Auf dem Marktplatz kann man seit 16. Juli kostenlos surfen. Jetzt aber bitte nicht mit einem Brett dort auftauchen, denn frischer Wind weht noch nicht wirklich über das hartnäckig in der Historie verhaftete Pflaster. Immerhin verschaffen ein paar neue Schwingungen dort Zugang zum Internet. Und auf diese Erfolgswelle ist das Leo-Center gleich aufgesprungen. „In aller Ruhe“ könnten die Besucher in dem Einkaufszentrum im Internet surfen, heißt es in der Pressemitteilung – was fast ein bisschen nach der mageren Passantenausbeute von Sindelfingen klingt.

Niemand Liebenswürdiges in der Innenstadt

Dagegen erscheint das Konzept von Sensapolis viel verlockender. Der Indoor-Spielplatz auf dem Flugfeld holt seine Kundschaft quasi vor der Haustüre ab – per Liebes-Shuttle. Kostenlos und im 20-Minuten-Takt geht es am 26. Juli vom Elbenplatz über den Omnibusbahnhof zur „Summer of Love“-Party neben der A 81. Das bedeutet erstens, dass sich in Sindelfingen von 22 Uhr an offenbar überhaupt niemand Liebenswürdiges mehr aufgabeln lässt. Und dass zweitens der Bär eindeutig am Stadtrand tanzt. Das haben auch die Sindelfinger kapiert und sich zur Wirtschafts-be-förderung gewandelt: beim Sommerferienprogramm werden Familien von einer Werksbesichtigung bei Daimler in die Altstadt zum Essen und schließlich ebenfalls zu Sensapolis gekarrt.