Aufgelesen im Kreis: Süßes und Saures. Böblingen feiert die offizielle Eröffnung der Bahnhofstraße. Dabei ist sie etwas zu kurz geraten – und hat fast nur Backwaren zu bieten.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Zur Feier des Tages hat sich Böblingen malen lassen. Wie auch bei Königen und Kaisern früher nicht anders üblich, musste der Künstler zu einem Weichzeichner greifen: Bunt, belebt und geradezu schnuckelig wirkt Böblingen auf dem Plakat, das für die Eröffnung der Bahnhofstraße am 9. und 10. Mai wirbt. Der Blick auf dem Bild reicht fast bis zu den Alpen, das nahe liegende Kauf-Centrum wurde dagegen vorsorglich ausradiert. Nicht malerisch genug erschien im Rathaus zudem das Gebäude, an dessen Wand das Gemälde gegenüber dem Bahnhof hängt: die Post – auch wenn sie noch mindestens bis 2018 an dieser Adresse aufzufinden ist.

 

Der Oberbürgermeister träumt

Man darf ja mal träumen, dachte der Oberbürgermeister wohl wie so mancher Herrscher, der sich von seinem Hofmaler die Schwachstellen übertünchen ließ. Hautkrankheiten will doch niemand sehen. Im Traum von Wolfgang Lützner ist diese „Warze im Gesicht einer jungen Braut“, wie er den grauen Klotz der Post nennt, also längst eliminiert. Ein heller Stern leuchtet außerdem über dem illustrierten Sanierungsprojekt, das die Bahnhofstraße zur Fußgängerzone machte, als würde zur Einweihung das Jesuskind auf dem Elbenplatz erscheinen. Damit ist zwar eher nicht zu rechnen, aber dass in der Stadt Großes geschehen ist, wird damit verdeutlicht. Während Stuttgart seine Königstraße noch bescheiden als Einkaufstraße und Fußgängerzone bezeichnet, ist Böblingen bereits einen Schritt weiter: „Unsere neue Flaniermeile“ heißt es auf dem Wandbild.

Dass die Bahnhofstraße mit ihren knapp 400 Metern für eine solche Bezeichnung etwas zu kurz geraten ist, hat natürlich niemand geschert. Eine Meile entspricht fast 1,61 Kilometer, weshalb sich die Stuttgarter nicht an den Begriff heranwagten, weil der Königstraße dazu wiederum genau 400 Meter fehlen. Dafür sind die Böblinger mit ihren umgerechnet 1312 verkehrsberuhigten Fuß gleichberechtigungstechnisch weit vorne: In Hannover beantragte eine grüne Stadträtin vor zwei Jahren die Bezeichnung Fußgängerzone aus dem städtischen Sprachgebrauch zu streichen, weil dort nicht nur Männer herumlaufen. Vermutlich sind die Frauen sogar in der Überzahl! „Das Wort Flaniermeile ist dagegen geschlechtsneutral und deutlich attraktiver“, erklärte sie. Als Vorbild diente ihr die Stadt Bern in der Schweiz. Dort wurden die Fußgängerzonen in Flanierzonen umgetauft. Wobei die grüne Kommunalpolitikerin den Zusatz Zone als zu militaristisch ablehnte.

Es mangelte am Böblinger Selbstbewusstsein

Ihren Ratskollegen mangelte es allerdings am Böblinger Selbstbewusstsein. „Flaniermeile ist eine Chaussee oder Allee, die man lang spaziert – etwas völlig anderes als eine Fußgängerzone“, erwiderte ein frankophiler FDPler auf den emanzipatorischen Vorstoß. Während Hannover keine Grundlage für eine Promenade bietet, kann für die Bahnhofstraße immerhin das Argument angeführt werden, dass sie ganz schön aufgebrezelt wurde. Sechs Bäcker säumen die 400-Meter-Strecke, und wer es bis ins Flugfeld oder an den Elbenplatz ohne Stärkung schafft, kann sich dort bei Nummer sieben und acht laben. Fachleute erkennen darin kein Überangebot, sondern eine Kompetenzlage – und das klingt doch gar nicht so weit entfernt von einem Prachtboulevard. Dem Ökonomen Harold Hotelling zufolge ist die Bahnhofstraße sogar genau richtig dimensioniert, denn Kunden sind aller Erfahrung nach einfach träge und schätzen kurze Wege. Der Flaniermeile fehlt nur noch der richtige Name: Wie wäre es mit Bäckerstraße?