An einer Berliner Schule ist ein jüdischer Schüler beleidigt worden. Jetzt hat er die Schule verlassen. Die Deutschen sind gut im Gedenken, aber bei Alltagsantisemitismus schauen sie lieber weg, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - An einer Berliner Schule ist ein jüdischer Schüler antisemitisch beleidigt und bedroht worden. „Wir können nicht mit dir befreundet sein, weil alle Juden Mörder sind“, sagten die Klassenkameraden. Aus dem Mobbing wurde Gewalt. Der britische Junge wurde von den Mitschülern mit angeblich arabischen und türkischen Wurzeln gewürgt. Die Eltern meldeten ihr Kind letztendlich von der Schule ab. Bis dahin hatten die Täter noch keinen Schulverweis bekommen. Das ist jetzt Wochen her.

 

Öffentlich wurde der Fall nun. Es war aber nicht die Schule, die darüber berichtete. Die Polizei gab keine Pressemitteilung über Ermittlungen gegen die strafmündigen Schüler heraus. Der Senat mit seiner eigenen Antidiskriminierungsstelle schwieg. Es war die Mutter des Jungen, die einer englischsprachigen Wochenzeitung davon erzählte, sie ist die bisher einzige Quelle für die Schilderung auch in diesem Text hier. Erst dann schrieb der Schulleiter einen offenen Brief und verwies darauf, dass die Schule nicht untätig war. Zwar schlendern die Übeltäter noch über den Pausenhof, aber sie haben dabei vielleicht mal die Großeltern des Opfers getroffen. Denn die waren eingeladen – um als Überlebende des Holocaust Wissen und Empathie zu vermitteln.

Jeder vierte Jude wird einmal pro Jahr beleidigt

An dieser Geschichte ist so vieles bitter, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Und nichts davon ist ein Einzelfall. Antisemitismus wird vor allem in der politischen Arena wahrgenommen. Wer aber redet über das Alltagsphänomen, das in ganz Europa existiert? Jede zweite rassistische Tat in Frankreich ist antisemitisch. Juden in Berlin tragen ihre Kippa vorsichtshalber unterm Basecap, wenn sie bei Makkabi Fußball spielen, hören sie sich auf dem Rasen der Regionalliga Beschimpfungen an, sie werden auf dem Weg zur Synagoge angegriffen. Jeder vierte Jude in Europa wird im Schnitt binnen eines Jahres wegen seines Jüdischseins einmal verbal beleidigt, so eine Studie der EU. Das heißt, dass wirklich jeder Jude jemanden kennt, der die Erfahrung macht. Und was schert das den Rest der Gesellschaft? Die Antwort sieht man, wenn man einmal die alljährlich stattfindende antiisraelische Al-Quds-Kundgebung in Berlin an sich vorüberziehen lässt, lang und laut – und dann zur Gegendemo geht. Ein Häufchen. Die deutsche Gesellschaft ist gut im Gedenken, aber sie reagiert auf Alltagsantisemitismus mit kollektiver Teilnahmslosigkeit nach dem Motto: Bedauerlich bis schlimm, aber nicht unser Bier.

Man mag der Schule noch nicht mal Indifferenz unterstellen. Vielleicht tun sich auch Lehrer schwer, zwischen Israelkritik und Antisemitismus zu unterscheiden und meiden deshalb zum Beispiel die Diskussion über den Nahostkonflikt. Der wäre im aktuellen Fall ein gutes Thema für eine Sofort-Geschichtsstunde gewesen. Aber dafür war die Schule offenbar nicht gewappnet – obwohl Jugendliche aus Familien hier lernen, in deren Ursprungsländern es zum Grundkonsens gehört, dass Israel von der Karte radiert werden müsste. Stattdessen werden die Großeltern des Opfers eingeladen, um über den Holocaust zu reden. Man muss kein Traumaforscher sein, um die Unerträglichkeit dieser Idee für alle Beteiligten zu spüren. Vor allem findet sich aber darin ein fatales Muster: Antisemitismus ist letztlich das Problem der Juden. Der 14-Jährige hat diese Lektion jetzt an einer deutschen Schule gelernt.

Vorschau
Am kommenden Dienstag, 11. April, schreibtan dieser Stelle unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.