Alle schimpfen über sie. Sie soll schuld sein an Essstörungen, Sexismus und Konsumwahn in dieser Welt. Doch Barbie ist viel besser als ihr Ruf, findet unsere Kolumnistin – ein Plädoyer für die viel gescholtene Puppe.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Stuttgart - Alle schimpfen über sie. Sie soll schuld sein an Essstörungen, Sexismus und Konsumwahn in dieser Welt. Sogar eine psychische Krankheit wurde nach ihr benannt, nachdem einige Frauen sich Dutzende von Malen operieren ließen, um so auszusehen wie sie. Die Rede ist von Barbie, der wohl meistverkauften Puppe der Welt. Wer was auf seinen Erziehungsstil hält, spricht nur mit gesenktem Blick von ihr. Denn an ihr scheitern irgendwann alle, egal welche Bildungsschicht, Anthroposophen-Mütter mit eingeschlossen. Es dürfte fast keinen Töchter-Haushalt geben, in dem Barbie nicht zum Inventar gehört. Die Statistik offenbart das ganze Ausmaß des Erziehungsdebakels: In Deutschland besitzt jedes Mädchen im Durchschnitt sieben Barbies.

 

Wir besitzen – dank spendabler Familien mit älteren Töchtern – 45 Barbies und Barbie-ähnliche Puppen, Kens und Kinder nicht mitgerechnet, außerdem vier Barbie-Rösser und haufenweise Klamotten und Schuhe aus mehreren Barbie-Generationen. Das mag sich jetzt wie ein Geständnis anhören, auf das zur Rechtfertigung gewöhnlich ein Lamento über die Macht der Werbeindustrie und den unbeugsamen Willen siebenjähriger Mädchen folgt. Es ist aber keines. Vielmehr ist es die Überleitung zum zaghaften Versuch, dem verpönten Spielzeug etwas Positives zuzuschreiben – auch wenn dabei womöglich das Amt des stellvertretenden Elternsprechers draufgeht. Denn was sich im Kinderzimmer ereignet, wenn wieder „eine Runde Barbie“ gespielt wird, ist grandioses Theater, das die ganze Dramatik des Lebens aus der Perspektive einer Zweitklässlerin offenbart.

Geliebt und geherzt werden andere Weggefährten

Alles wird nachgespielt, Erlebtes wie Fantasiertes und beides kombiniert. Da ist die strenge Lehrerin, die zu hysterischen Anfällen neigt, die Freundin, die auf einmal keine mehr sein will, dann treten freche Jungs auf, die die Mädchen necken, nicht zu vergessen die ungerechten Eltern und der nervige Bruder. Bis zu vier Protagonisten können in Szene gesetzt werden. Dank der viel kritisierten schlanken Linie passen zwei Akteure problemlos in jede Hand. Käthe-Kruse-Puppen sind da eindeutig im Nachteil.

In dem leidenschaftlichen Spiel erwecken die dürren Puppen in keinem Moment den Eindruck von frisch gekürten Schönheitsköniginnen. Den strapazierten Barbies haftet eher etwas Mitleiderregendes an, wie sie so beharrlich lächeln mit ihren verfilzten Haaren, die spätestens nach dem dritten Gebrauch in alle Richtungen abstehen. Mit Kleidchen, die immer irgendwo offen stehen, weil der Klettverschluss versagt hat, oder eingerissen sind vom vielen An- und Ausziehen. Die Spielenden stört das nicht weiter. Hauptsache, die Puppe verliert beim Balgen um die beste Freundin keine Gliedmaßen. Und wenn alle Gefühle entladen sind und der Vorhang fällt, wird sie achtlos in große Plastikkisten geworfen. Geliebt und geherzt werden andere Weggefährten.

Irgendwie tut sie mir leid. Immerzu wird sie gescholten, nie wird gewürdigt, welchen Beitrag sie leistet für den Seelenfrieden unserer Töchter. Darum sage ich an dieser Stelle leise: Danke, Barbie!