Kinder brauchen Tiere, heißt es. Aber die Folgen werden unterschätzt, wie unser Kolumnist Martin Gerstner beobachtet hat.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Also ich finde, Kinder brauchen Tiere. Die schärfen das Gefühl für Verantwortungsbewusstsein.“ – „Jaja, und wer hat die ganze Arbeit am Hals?!“ – „Man muss den Kindern eben gleich klar machen, dass sie sich drum kümmern.“ - „Und wenn nicht?“ – „Ach, das klappt schon. Steht doch in jedem Ratgeber.“ - „Und was für ein Tier . . .“ – „Na ja, ein Hund ist ein toller Spielgefährte.“ – „Ein Hund, so so.“ – „Katzen wiederum sind selbstständiger.“ – „Hmmm.“ - „Hamster kann man stundenlang beim Sport beobachten.“ – „Sport? Echt jetzt?“ - „Und Schildkröten bringen Ruhe in den turbulenten Alltag.“ – „Aber Schildkröten bewegen sich doch nie. Könnte man da nicht ein Stofftier nehmen, das ein bisschen grunzt oder schnurrt?“ - „Jetzt hör aber auf!“

 

Wie wir sehen, gibt es immer noch Eltern, die der Anschaffung eines Haustiers skeptisch gegenüberstehen. Sie sind aber in der Minderheit. Die Haltung eines Tiers gilt vor allem im bürgerlichen Milieu als pädagogisch sinnvoll, bewusstseinserweiternd, kreativitätsfördernd, liebesfähigkeitsunterstützend und was der Attribute mehr sind. Das alles ist natürlich absolut richtig. Denken wir an all die jungen U-Bahnhofsschläger und Komatrinker. Hätte man ihnen rechtzeitig ein Tier an die Hand gegeben (ein Meerschweinchen beispielsweise, dem sie ihre neuen Ballerspiele hätten vorführen können oder ein Wollschwein, das sie freundlich und verständnisvoll angrunzt, wenn das Testosteron ins Kraut schießt), wären sie jetzt Musiktherapeuten, Yogalehrer oder Bibliothekare und lungerten nicht auf der Suche nach Opfern in öden Großstadtbrachen herum. Die Welt wäre also eine bessere, hätten alle Familien ein Haustier. Katzen oder Hunde, aus der Not der Vernachlässigung gerettet, verliehen dem Familienleben eine altruistische Note.

Olfaktorische Symphonien

Wer allerdings davon träumt, nach der Anschaffung eines Tiers sein bisheriges Leben weiterführen zu können, irrt. Katzen beispielsweise verfügen über das Verhaltensrepertoire einer Pop-Diva, wenn sich die häusliche Umgebung nicht ihren Launen unterwirft. Sie zerkratzen Möbel wie Tapeten und hinterlassen mitunter eine Flüssigkeit, die genau zu benennen sich verbietet, wollte man nicht in Vulgarismen abtauchen. Gott sei Dank bietet die Industrie mannigfache Befriedungsinstrumente an: Kleine Verdampfer mit Pheromonen und Glückshormonen, die das Raubtier in einen traumseligen Zustand versetzen. Ätherische Öle hindern es daran, Kleiderschränke heimzusuchen. Falls doch ein Malheur passiert, lassen weitere Duftessenzen die Hinterlassenschaft in den Hintergrund treten. Zusammen mit dem Geruch von Tierfutter entwickelt sich eine olfaktorische Symphonie, gegen die das Backen von Zimtsternen neben einem dampfenden Topf Glühwein total abstinkt.

All das verblasst aber, wenn die Kinder Freundschaft schließen und tatsächlich staunenswerte Fürsorge aufbringen. Und wenn ein Siebenjähriger mit sanfter Gewalt die sonst so hochmütige Katze in sein Zimmer bugsiert, um ihr von erlittenen Demütigungen auf dem Schulhof zu erzählen, ist die Welt doch eine etwas bessere.