Die Jugend ist schlecht, verdorben und faul. Diese Art von Kulturpessimismus hat eine Tradition, die bis tief in die Antike reicht. Wir sehen das Ganze jetzt einfach mal positiv. Ein Zwischenruf unseres Kolumnisten Matthias Hohnecker.

Stuttgart - Es gibt keinen Zweifel: Jugend morscht! Sie verrottet, verwildert, verfault, vergammelt, verdirbt. Und das seit mindestens 4000 Jahren. Beispiele? Wer etwa hat dies gesagt: „Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe“? A. der CDU-Fraktionszwangschef Volker Kauder? B. der Disziplinfanatiker und Ex-Internats-Leiter Bernhard Bueb („Erziehung bedeutet immer Führung“)? C. der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch, Autor des Buches „Die Verwöhnungsfalle“? Lösung: die Sätze standen schon in einem Keilschrifttext aus dem Jahr 2000 vor Christus.

 

Und noch ein etwas längeres Beispiel: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Sagte das: A. Felix Magath? B. die Tigermutter Amy Chua? C. der Regensburger Ex-Bischof und katholische Hardliner Gerhard Ludwig Müller? Nee, das Zitat aus dem Jahr 400 vor Christus wird dem Philosophen Sokrates zugeschrieben.

Keine Hoffnung auf die Zukunft des Landes

Der Kulturpessimismus hat also Tradition. Man muss das wissen, wenn man morgens an eine Schulbushaltestelle heranfährt, dort 27 von 25 Heranwachsenden über ihr Smartphone gebeugt sieht und mit dem Philosophen Aristoteles (circa 350 vor Christus) denkt: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“

Gut, man hätte auch Goethe heranziehen können („Die Jugend will lieber angeregt als unterrichtet sein“) oder Jean Paul Sartre („Jugend will, dass man ihr befiehlt, damit sie die Möglichkeit hat nicht zu gehorchen“). Was nichts daran ändert: Man übernimmt einfach unbesehen das dumme Geschwätz der Altvorderen behufs der verderbten Jugend.

Wie wär’s stattdessen einfach mal mit: Sehen wir das Ganze positiv?! Nie zuvor in der Geschichte haben die Jugendlichen so umfassend die wichtigsten Kulturtechniken ausgeübt, ja ausgelebt. Per SMS, Whatsapp, iMessage, E-Mail, Instagram, Snapchat, Facebook, Twitter etc. pp.

Das Schreiben zum Beispiel (hdgl; rofl; lol; 2F4U; FUBAR) und das Lesen von ausführlichen Texten (LMGTFY; PEBCAK und ROFLMAO). Dieses anschwellende kommunikative Miteinander auf allen Ebenen gab es nie, nie, nie zuvor. Man setzt einen Tweet auf Twitter ab, dass man gerade auf Instagram das Bild seiner Facebooktimeline gestellt hat, auf der steht, dass man gleich über Whatsapp nachfragt, ob die E-Mail ankam mit dem PDF der Einladung zum gemeinsamen Phubbing an der Schulbushaltestelle. Verschwende deine Jugend? Geht doch!