Zwischen Tochter und Erzeuger geht es manchmal kompliziert zu: Vater gibt sein Bestes, und der Nachwuchs zeigt sich ignorant. Diese Erfahrung hat unser Kolumnist Matthias Hohnecker gemacht.

Stuttgart - Jetzt, da der Sommer vorbei ist, die Kinderlein wieder in den Strebergarten gehen und die Blätter ihren Baum verlassen, glänzt Vater M. mit seinen berüchtigten Aufheiterungssprüchen. Den heraneilenden Herbst begrüßt er seit Jahren so: „Wenn’s Maisfeld störbst, dann is Hörbst.“ Mutter S. verdreht dann die Augen; Sohn P., 13, gibt ein Geräusch von sich, das an würgende Greifvögel erinnert; Tochter E., 10, sagt, was sie stets sagt, wenn Vater M. sich mit vollem Geisteseinsatz um die Lockerung unentspannter Familienstimmung bemüht: „Papa, du bist sooo peinlich!“

 

Hugh, das Tochterurteil ist gesprochen. Vater M. könnte mit glockenheller Stimme und zur Melodie von Taylor Swifts „I knew you were Trouble“ noch so tolle Grundwahrheiten nachschieben, selbst solche, die Tochter E. in ihrem fortwährenden Kampf ums Vegetariertum bestärken könnten („Mit Schinken tun die Fäkalien stinken“). Allein: am Tochterurteil würde sich kein Härchen ändern. Papa ist sooo PEINLICH. Gefragt, was sie unter „peinlich“ verstehe, erhält man übrigens als Antwort: „Na, peinlich ist eben –  . . . – peinlich.“

Der beste Kumpel namens Götze

Achtung, Durchsage: laut Duden ist jemand peinlich, wenn er beim Gegenüber „ein Gefühl der Verlegenheit, des Unbehagens, der Beschämung o. Ä.“ auslöst, wobei „o. Ä.“ hier kein Synonym für das greifvogelartige Würgegeräusch ist, das Sohn P. bei Sprüchen von Vater M. erzeugt, sondern „oder Ähnliches“ bedeutet.

Unter „oder Ähnliches“ fiele für Tochter E. womöglich eine Situation, die der saarländische Freund C. über seine Tochter M., 9, erzählt hat. Und die geht so: Saar-Tochter M. wäre von Geburt an lieber ein Junge, kleidet sich wie ein Junge, frisiert sich wie ein Junge, läuft wie ein Junge, spricht wie ein Junge und geht mit Jungs in einer Jungsmannschaft Fußball spielen. Irgendwann stand M. mit ihrem besten Kumpel, nennen wir ihn Götze, nach dem Training in der Umkleidekabine, und Götze fiel beim Anblick von M. aus allen Wolken. „M., du bist ja –  . . . – aber du bist ja ein Mädchen!?!“ Worauf M. wie aus der Pistole geschossen erwiderte: „Aber nur untenrum!“ Ist Vater C. aus dem Saarland dies peinlich? Überhaupt nicht. Ist M. das peinlich? Ganz und gar nicht. Und Götze ist immer noch der beste Kumpel von M.

Ein Gefühl des Unbehagens

M. hat auch eine Schwester. Saar-Schwester F. ist knapp vier, ein zuckersüßes Schätzekind, engelsgleich mit blondem Lockenhaar, das noch gerne und ausgiebig am Schnuller nuckelt. Was allerdings nicht bedeutet, dass F. nicht zu klarer Ausdrucksweise greift, wenn es angezeigt ist. Neulich, an einem der letzten heißen Sommertage, stieg sie nach der 50-minütigen Fahrt zum Badesee am Rande der Löwensteiner Berge aus dem nicht klimatisierten Auto, rieb sich den Handrücken über den Popo, nahm den Schnuller aus dem Mund und sagte ohne einen Hauch von Restzweifel: „Alter, schwitzt mein Arsch!“

Ist das peinlich, beschämend, ein Gefühl des Unbehagens auslösend? I wo! Selbst Tochter E. lacht da ausführlich mit, wenn man diese Geschichte wieder und wieder erzählt. Peinlich wäre so ein Spruch höchstwahrscheinlich nur dann, wenn Vater M. ihn äußern würde.