Auf Entzug: Wochenendtipps für Mütter, die nicht loslassen können: von ihren Kindern, ihrem Mann, ihren Pflichten. Unsere Kolumnistin Akiko Lachenmann hat es ausprobiert.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Stuttgart - Ratsam ist der kalte Entzug. Am besten ein überstürzter Abgang im morgendlichen Chaos, wenn sich die Müslischüsseln in der Spüle türmen und Zahnpastaflecken das Waschbecken sprenkeln. Dann einfach Tür zu und tschüss. Nicht an den vorwurfsvollen Blick denken, mit dem der Sohn beim Abschied über den Brillenrand blickt, nicht an die kleinen Hände der theatralischen Tochter, die gerade noch das rechte Bein umklammert hielten. Allenfalls kurz angebunden all die Väter und Mütter aus der Nachbarschaft grüßen, die ihre Kinder auf Dreirädern mit Schiebestange oder an der Hand zum Wochenendeinkauf bugsieren. Lieber Eile simulieren und sich der Gangart der Kinderlosen anpassen, die ebenfalls zum Bahnhof laufen, um sich in ein vergnügliches Wochenende zu stürzen.

 

Das ideale Reiseziel für die lebenshungrige Hausfrau: umtriebige, kulturell interessierte Single-Freundinnen in der Großstadt, die noch auf Partys eingeladen werden, wo getanzt wird. Die einem das Gefühl geben, wenigstens ein Wochenende lang wild und gefährlich zu leben. Schließlich gilt es, den Verdacht zu entkräften, dass Kinder „den Weg in festgelegte oder gar erstarrte Lebensverhältnisse ebnen“. Diesen Verdacht artikulierte der Philosophieprofessor Dieter Thomä in seinem Buch „Eltern“, das versucht zu erklären, warum - trotzdem - Kinder in die Welt gesetzt werden. Ein Bestseller unter Eltern in Erklärungsnot.

Mitbringsel für die Kinder

Doch so einfach lässt sich die Haut nicht abstreifen. Am Bahnhof ist die Versuchung groß, sich Elternmagazine für die Fahrt zu besorgen und schon mal nach Mitbringseln für die Kinder Ausschau zu halten. Im Zug kreisen dann die Gedanken auf einmal um die Buchpräsentation, die der siebenjährige Sohn vorbereiten muss. Oder um das Kühlschrankmanagement, wenn Lebensmittel übers Wochenende zu verrotten drohen. Wer in solchen Phasen die Daheimgebliebenen anruft, um nach dem Rechten zu sehen, könnte von deren Reaktion enttäuscht werden. Besser man begibt sich in solchen Phasen rasch ins Zugbistro, schaut dabei nicht ins Kleinkind-Abteil und bestellt sich einen Piccolo.

Die Bilanz nach der selbst verordneten Auszeit ist immer die gleiche: ein benebelter Kopf nach dem obligatorischen Kneipenstreifzug, ein gestörter Schlafrhythmus, sinnlose Souvenirs aus dem Kunstmuseum und eine irre Freude auf die Heimkehr, die auch dann noch anhält, wenn man die Schwelle in den mit Spielzeug übersäten Flur überschreitet. Zumindest kann man sich eine Weile im Glauben wähnen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, loslassen zu können, keine Helikopter-Mutter zu sein. Dieter Thomä hat übrigens auf die Frage, warum der auf Freiheit erpichte Mensch sich vorsätzlich in die Lage bringt, sich unwiederbringlich den Bedürfnissen Minderjähriger unterzuordnen, einen tröstlichen Gedanken. Vielleicht, sagt er, seien in Wahrheit die Eltern die Grenzgänger, die wild und gefährlich leben, wenn sie dieses ökonomisch riskante und unberechenbare Projekt „Kinder“ in Angriff nehmen. Wenn es sich bloß auch so anfühlen würde.