Betrunken Auto fahren? Guten Gewissens Bus und Bahn ignorieren? Die Digitalisierung bietet ungeahnte Möglichkeiten, und auch die Liebe kommt nicht zu kurz.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Das Leben könnte so schön sein, wenn man sich nicht dauernd Sorgen machen müsste. Sorgen vor unpassendem Wetter, vor versteckten Fetten oder vor unerwartetem Klingeln des Festnetztelefons. Vor all den Dingen eben, auf die man keinen Einfluss hat. Oder, wie leidgeprüfte Kenner der Materie sagen: vor den Sorgen vor morgen. Interessanterweise ist dieses Phänomen so alt wie die Menschheit, nur dass sich die Objekte der Sorge gewandelt haben. Früher hatte man Angst vor dem Feuer oder vor dem eigenen Denken (manche hat diese Angst bis heute nicht losgelassen), auch die Furcht vor Eisenbahn ist belegt oder vor der Schreibmaschine. Und so weiter und so fort.

 

Mit Alkohol am Steuer

Die Menschen von heute, genauer: die Menschen von heute, die in Baden-Württemberg leben, können jedoch, ach was: müssen froh und dankbar sein. Denn sie haben: Thomas Strobl. Als Minister für Inneres ist es natürlich sein sehnlicher Wunsch, dass sich die Bewohner seines Landes wohl fühlen, und als stellvertretender Landesvater versteht er es beinahe herzergreifend gut, die Sorgen seiner Landeskinder zu zerstreuen. Zum Beispiel die Sorge vor der Digitalisierung, dieser höchstfuturistischen Erscheinung, dieser unsichtbaren Macht, die macht, dass alles, was heute noch gilt, schon morgen ganz anders ist. Aber: das ist cool, frohlockt Thomas Strobl, der zugleich Minister für Digitalisierung ist. Als solcher hatte er zu einem Digitalisierungsevent in Ludwigsburg eingeladen – und dort total analog Lust auf die lebensvereinfachenden Vorzüge der neuen Technologien gemacht.

Wenn es zum Beispiel erst mal selbstfahrende Autos gibt, dann, O-Ton Minister: „kannsch sauber zwei Viertele pfetze und deim Auto saga: fahr mi heim“. Wenn also heute noch gilt, dass man sich nicht betrunken hinters Steuer setzen darf, dann ist das morgen schon anders! Cool!

Was sich liebt, das neckt sich

Oder, noch so ein Vorzug der neumodischen Wagen: man spart sich die lästige Parkplatzsuche, weil sich das Selbstfahrzeug ganz alleine in der Tiefgarage zurechtfindet. Und zum nach Hause fahren, O-Ton Minister, „pfeifsch oifach und des Auto kommt zu dir“. Wenn also heute noch propagiert wird „fahr’ Bus und Bahn“, dann darf man morgen wieder besten Gewissens aufs Auto umsteigen. Hurra! Oder, um die digitalen Vorzüge noch alltagstauglicher zu vermitteln: niemals mehr wird sich ein Mann vor seiner Frau blamieren, weil er es nicht schafft, den Videorekorder an den Fernseher anzuschließen. Kabel waren gestern. (Gut, Videorekorder auch, aber was soll’s!) Nie wieder also bekommt der fürsorgliche Thomas Strobl von seiner Frau diesen Satz – O-Ton Minister – hören: „Du bisch wirklich zu gar nix zu gebrauchen.“ Wenn es also heute noch heißt, „was sich liebt, das neckt sich“, können Neckereien morgen schon vollkommen überholt sein, weil alles von selbst läuft?

Huch, da ist ja doch schon wieder eine Sorge. Was wird in der schönen neuen Welt mit den guten alten Gefühlen passieren? Transformieren sie auch immer schneller, kann jeder von jedem Ort aus auf sie zugreifen? Sind sie überhaupt sicher?

Der Eintritt kostet einen Kuss

Und wird es dann noch Veranstaltungen geben, bei denen der Eintritt einen Kuss kostet? So wie am nahenden Valentinstag im Ludwigsburger Residenzschloss. Liebespaare haben dort am 14. Februar kostenlos Zutritt. Zu entrichten ist an der Schlosskasse lediglich ein Kuss. Nicht an die Kassiererin, versteht sich, sondern an den/die Liebste/n. Sonst könnte ja jeder kommen. Und weil die Schlossherren ausgesprochen liebenswürdige – oder vielleicht altmodische? – Menschen sind, gilt dieses Angebot nicht nur am kommenden Dienstag, sondern während der ganzen nächsten Woche.

Wenn das keine rosigen Aussichten auf morgen sind und auf übermorgen und auf überübermorgen!