Ein Schloss ist ein Schloss ist ein Schloss ist ein Schloss? Von wegen! Auch ein Schloss muss gucken, wo es bleibt.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Es war einmal ein Herrscher, Eberhard Ludwig war sein Name. Der ließ mitten im Nichts ein herrschaftliches Schloss erbauen, in dem er anno 1718 Residenz nahm. Korrekt, die Rede ist vom Residenzschloss. Und beim einstigen mitten im Nichts handelt es sich um das heutige Ludwigsburg. Wie gut es sich der gute alte Eberhard in seinem Domizil mit den 452 Räumen gehen ließ (und wie nicht so gut es dem Gesinde ging), davon kann man sich tagtäglich ein Bild machen. Bei Führungen mit der Kammerzofe oder der Mätresse, bei Gängen durch die Unterwelt oder durch festliche Säle. Oder im Modemuseum, im Keramikmuseum, im Lapidarium, in der Barockgalerie – ach Gottchen, da wird einem ja schon beim Aufzählen ganz feudal ums Herz.

 

Musik als Lockmittel

Aber ach, es war auch einmal ein Zahn der Zeit. Zu den liebsten Beschäftigungen dieses Zahns gehört es seit jeher, an allem zu nagen, bevorzugt an betagten Dingen. Also an epochalen Gewändern oder historischen Gemälden oder steinalten Gebäuden, einem Schloss etwa. Wie wundersam fügt es sich da, dass – auch Jahrhunderte nach dem Auszug des Herrschers von anno dunnemals mitsamt seinem großen Gefolge – noch immer dienstbare Geister hinter den Mauern des Residenzschloss hausen. Gäbe es sie nicht, hätte der Zahn längst das gesamte Gebäude mitsamt seiner Einrichtung abgenagt, und kaum ein Mensch könnte sich noch für eines der größten im Original erhaltenen barocken Bauwerke in Europa live-haftig interessieren.

Sind wir ehrlich: dieses barocke Bauwerk ist doch gleich sehr viel interessanter, seit es im November zum Drehort – oder sagen wir: zum Set – der Auto-TV-Show „The Grand Tour“ wurde. Ein mobiles Studio mit Panoramablick auf den alten Hauptbau, ein berühmt-berüchtigter Moderator und eine Ausstrahlung auf Amazon Prime Video: da sieht jede noch so adrette Mätresse alt aus. Oder man denke an die hippen Performer (Fritz Kalkbrenner, Butch, Karotte), die zum Elektro-Tanz-Festival „Electrique Baroque“ im September Tausende in den Schlosshof lockten, die das Ludwigsburger Schloss bis dahin womöglich für ein Vorhängeschloss gehalten haben. Die Barden (Jan Delay, Philip Poisel, Unheilig,...), die allsommerlich bei den „Music Open“ antreten, mag man nur noch der Vollständigkeit halber aufzählen.

Und noch eine Hochzeitsmesse

Was täte es dem alten Schloss doch gut, wenn die Besucherströme über das gesamte Jahr optimal verteilt werden könnten. Im Winter mit Eisbahn und einer Almhütte, in der noch lange, nachdem in der Innenstadt die Bordsteine hochgeklappt sind, der Bär steppt. Wenn das kein Publikumsmagnet wäre! Ach so, die Idee gab’s ja schon. Aber halt auch Bedenken wegen des Weihnachtsmarkts in der City. Das war’s dann mit dem Winter Wonderland. Gut, woher soll man im Rathaus auch wissen, dass für barocke Klassiker nichts anderes gilt als für erfolgreiche Kaufleute: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Umso erfreulicher ist deshalb, dass der nimmermüde Schlossverunstalter, pardon Schlossverwalter, nun ein Event entdeckt hat, das es so noch nie gab: eine Hochzeitsmesse! Was in Esslingen, Waiblingen, Stuttgart und, ja, auch im benachbarten Forum am Schloss(!)park Heerscharen anzieht, spült gewiss noch ein paar royale Ja-Sager in den Schlossbau.

Das Schlossgespenst zieht bestimmt bald aus

Ach, vermutlich dauert es nicht mehr lange, und aus dem ehrwürdigen Residenzschloss wird ein merkwürdiges Schlosshotel (mit 452 Zimmern). Und wahrscheinlich dauert es auch nicht mehr lange, bis sich das treue alte Schlossgespenst trollt. „Na wenn schon?“ wird es sich denken. Soll halt der Zeitgeist durch die Gemäuer spuken.