Auf seiner Weltreise begegnet unser Autor Johannes Nedo immer wieder spannenden Menschen. Diesmal erzählt er von der bolivianischen Studentin Juana Flores. Die 23-Jährige unterstützt in ihrer Stadt Sucre Kinder, die arbeiten müssen.

Sucre/Bolivien - Juana Flores liebt es, Gedichte zu schreiben und sich Märchen auszudenken. Schöne Märchen, die gut ausgehen. Oft sitzt sie auf dem Hauptplatz von Sucre – und wenn sie dann all die Kinder sieht, die über den Platz pesen und mit einem Lachen zu ihr zurückkommen, glaubt sie immer mehr daran, dass viele Geschichten wirklich gut ausgehen können. Dabei ist das, was viele dieser Kinder erleben, alles andere als ein Märchen.

 

Juana Flores arbeitet für das Magazin „Inti“. Es ist eine Wohltätigkeitszeitschrift, mit dem die arbeitenden Kinder in Sucre unterstützt werden sollen. Kinder zwischen sieben und 14 Jahren, die ansonsten in den Straßen der 215 000-Einwohnerstadt schwer für einen Hungerlohn schuften müssten, können das Magazin verkaufen und werden dafür gut bezahlt. Dass Kinder überhaupt arbeiten müssen, ist in Bolivien – einem der ärmsten Länder der Welt – leider traurige Realität. Meist haben die Eltern nicht genug Geld, um ihre Großfamilien ernähren zu können. Oder der Vater hat die Familie verlassen. So wird von den Kindern wie selbstverständlich erwartet, zum Überleben der Familie beizutragen. Die Schule rückt dabei natürlich in den Hintergrund. Auf dem Land müssen sie schwere Feldarbeit verrichten, in der Stadt arbeiten sie oft als Schuhputzer, als Träger auf Märkten, auf Baustellen oder als Straßenverkäufer.

Viele arme Großfamilien sind vom Einkommen der Kinder abhängig

Die Zahl der arbeitenden Kinder in Bolivien wird auf 850 000 geschätzt, das entspricht mehr als einem Viertel der Fünf- bis 17-Jährigen. Im Juli hat die bolivianische Regierung sogar ein Gesetz erlassen, das Kinderarbeit offiziell ab einem Alter von zehn Jahren erlaubt. Damit soll vor allem erreicht werden, die langjährige Praxis in die Legalität zu überführen und die arbeitenden Kinder mit mehr Rechten auszustatten. Auch wenn dieser Ansatz aus deutscher Sicht auf den ersten Blick paradox erscheinen mag.

„Es tut mir sehr weh zu sehen, dass Kinder bei uns arbeiten müssen“, sagt Juana Flores. „Aber ganz stoppen kann man es leider nicht.“ Zu sehr sind viele arme Großfamilien vom Einkommen der Kinder abhängig. Auch Juana Flores selbst musste als Kind arbeiten. Von ihrem achten Lebensjahr an verkaufte sie auf der Straße Süßigkeiten, später kümmerte sie sich als eine Art Babysitterin um Neugeborene. Nun will die 23-jährige Studentin der Kommunikationswissenschaften als „Inti“-Redakteurin wenigstens etwas dazu beitragen, um das Leben einiger Kinder zu erleichtern. „Sie sollen doch eine echte Kindheit haben“, sagt sie.

Die Kinder können die Hälfte des Verkaufspreises behalten

„Inti“, das 2009 von der Britin Philomena Winstanley gegründet wurde, unterstützt 19 Kinder. Diese verkaufen das Magazin auf dem Hauptplatz der kolonialen Altstadt, aber sie beteiligen sich auch an den Inhalten des Heftes. Sie malen Bilder oder erzählen selbst ausgedachte Geschichten. „So stärken wir auch ihr Selbstbewusstsein“, sagt Juana Flores. Die Hälfte des Verkaufspreises geht direkt an die Kinder, mit der anderen Hälfte werden die Druckkosten beglichen. Und es werden medizinische Behandlungen, aber auch Ausflüge und Clown-Vorführungen für die Kinder finanziert.

Alle zwei Monate erscheint „Inti“, Juana Flores und eine weitere bolivianische Studentin stellen dann jedes Mal mit der Gründerin Philomena Winstanley Artikel über Sucre und die arbeitenden Kinder zusammen. Oft engagieren sich auch ausländische Freiwillige in der Redaktion. „Wenn wir ihnen nicht mit ,Inti’ helfen würden, wären sie vollkommen orientierungslos“, sagt Juana Flores. In Zukunft will sie mit ihren Mitstreiterinnen natürlich noch mehr Kinder in der Stadt unterstützen. So schwierig das auch werden mag, Juana Flores glaubt fest daran, dass die „Inti“-Geschichte richtig gut ausgeht.

Kolumne
Johannes Nedo reist zehn Monate durch Südamerika und Afrika. In der StZberichtet er von seinen Abenteuern und von besonderen Begegnungen.