In der Fußball-Bundesliga trifft der VfB auf die Hertha, und damit Trainer Jürgen Kramny auf den Kollegen pal Dardai. Es ist das Duell der beiden Glückpilze.

Stuttgart - Man möchte vor Neid oft verrecken, wenn man sieht, wie sich die Fußballstars vor Groupies kaum retten können.

 

Sie wissen nicht, was ein Groupie ist?

Urkundlich erwähnt wurde diese Spezialgattung der Gespielinnen erstmals in den Gruppensexzeiten der Rockmusik, wo manches Groupie binnen einer Nacht derart von der Matratze des Schlagzeugers über die des Gitarristen bis zum Frontsänger wanderte und wieder zurück, dass Frank Zappa sich in seiner Rock-Oper „Joe’s Garage“ (1979) in den Ausdruck „crew slut“ verstieg, was mit Wanderpokal vornehm übersetzt ist.

Auch die zwei Trainer, die sich an diesem Samstag beim Spiel VfB gegen Hertha begegnen, treiben es mit ein und derselben. Die Begehrte heißt Fortuna und ist berühmt-berüchtigt als Groupie des Glücks, aber jetzt muss sich die Heißblütige entscheiden, wem sie auch künftig den Kopf verdreht: Lässt sie Pal Dardai weiter von der Champions League träumen – oder Jürgen Kramny weiter vom Titel des Deutschen Rückrundenmeisters?

Vom Übergangstrainer zur Erfolgscoach

Der Stuttgarter Trainer, mit dem wir wegen des Heimvorteils anfangen wollen, hat die letzten vier Punktspiele gewonnen, selbst der FC Bayern sieht seit Weihnachten nur noch die VfB-Rücklichter – und Kramny weiß warum. „Das ist“, lacht er jede Woche etwas mehr, „das Produkt unserer guten Arbeit.“ Frankfurts Trainer Armin Veh hat darauf unlängst etwas grimmig dreingeschaut, denn das Produkt seiner guten Arbeit waren ein Kopfball von Alex Meier, der tanzend auf der VfB-Latte endete, sowie weitere vom Pech verfolgte Großchancen und ein ausbleibender Elfmeterpfiff des Schiedsrichters, der ein Handspiel von VfB-Kapitän Christian Gentner angesichts der momentanen Handballeuphorie im Land fasziniert guthieß.

Kramny darf trotzdem stolz sein, er hat sich sein Glück hart erarbeitet. Er kam als Übergangstrainer, hatte also keine Chance, und kurz vor Weihnachten war er schon wieder so gut wie weg – aber dann, kurz vor Torschluss, hat diese Liebe auf den ersten Blick eingeschlagen, und die verknallte Fortuna schickte ihm eine SMS mit dem wunderbaren Dichtersatz von Ovid: „Überall herrscht der Zufall, lass deine Angel nur hängen. Wo du’s am wenigsten glaubst, sitzt im Strudel der Fisch.“ Der Römer hat von 43 vor Christus bis 17 nach Christus gelebt, kannte aber offensichtlich schon damals die drei wirkungsvollsten Philosophien, raffiniertesten Strategien und meistunterschätzten taktischen Marschrouten im Fußball: Dusel, Massel und Glück. Kramny ernannte jedenfalls sofort seine Jeans zum Co-Trainer – und dass sie zerrissen war, machte die Sache vollends perfekt, denn Scherben bringen Glück.

„Von Gott geküsst“

Der Fußball ist eine Geisel des puren Zufalls, und dessen Handlanger sind verwirrte Schiedsrichter, verirrte Querschläger, kaputte Hosen und die Launen des Flittchens Fortuna – oder wissen Sie eine bessere Erklärung? Warum ist beispielsweise Hertha BSC plötzlich so erfolgreich?

Im ZDF-„Sportstudio“ hat man das Unfassbare neulich mit Pal Dardai zu ergründen versucht, und aufgrund der Erzählungen des Ungarn waren auch da zunächst viele überzeugt, dass harte Arbeit belohnt wird oder es an der Philosophie, am Teamgeist und den Selbstgesprächen liegt, die der Trainer gelegentlich mit sich führt – bis Andreas („Zecke“) Neuendorf, der Hertha-Nachwuchstrainer und Ex-Profi, im TV-Verhör zusammenbrach und mit dem wahren Erfolgsgeheimnis herausrückte, indem er über Dardai auspackte: „Er ist von Gott geküsst.“

Fußballgott oder Fortuna, es läuft auf dasselbe hinaus, und dass nichts mit rechten Dingen zugeht, wissen wir seit Ovid – spätestens aber, seit Franz Beckenbauer mit circa drei Promille im Blut den Ball von einem vollen Bierglas herunter so virtuos Richtung ZDF-Torwand schlenzte, dass er ins Loch hoppelte. Als Trainer wurde der Kaiser Weltmeister, weil er keine Lizenz, kein Konzept und keine Linie hatte – sondern nur das, was den schottischen Teammanager Andy Roxburgh einst fassungslos sagen ließ: „Beckenbauer ist der einzige Mensch, der, wenn er aus dem Fenster stürzt, nach oben fällt.“ Andere haben Roxburgh salopper übersetzt: Das Glück ist ein Rindvieh.

Absurde Erfolgsrezepte

Es ist jedenfalls zum Totlachen, wenn uns die Gelehrten immer weismachen wollen, was den Unterschied ausmacht zwischen Sieg und Niederlage – die absurdesten Erfolgsrezepte zählen sie uns auf, wie Einstellung, Pressing oder Taktik. Alles Blabla. Unlängst spielte Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool bei Norwich City, und Rätselhaftes geschah. Liverpool führte 1:0, lag kurz danach 1:3 hinten, plötzlich wieder 4:3 vorn, nach dem 4:4 in der zweiten Minute der Nachspielzeit folgte in der letzten Sekunde das 5:4 – und am Ende des Irrsinns sagte Klopp: „Wir waren mitten im Chaos und haben dann reagiert.“

Das hörte sich an, als hätten seine Fußball-Beatles das Ding mit kühlem Verstand herumgerissen – die These Klopps war nur damit zu entschuldigen, dass ihm beim Jubeln die Brille zerbrochen war, was offenbar seine vollkommene Blindheit zur Folge hatte. Denn nichts mehr hatte Liverpool im Griff, die einzige Wahrheit steckte im alten Wandspruch: Wem das Glück hold ist, dem kalbt ein Ochs.

Neulich, als der HSV gegen die Bayern unverdient unterlag, haben die Hamburger instinktiv an ihren früheren Meistermanager Günter Netzer denken müssen – der war nämlich einst mit der Erkenntnis aus der Tiefe des Raumes gekommen: „Keine noch so kluge Taktik ist so gut wie ein dummes Tor.“ Dank eines solchen gewannen nun die Bayern, und HSV-Trainer Bruno Labbadia fluchte: „So ein Duseltor kotzt mich an! Billige Tore! Dreckstore!“

Gesichtsanalytiker haben Labbadias Wutfratze so gedeutet: Wofür schufte ich, warum zermartere ich mir tagelang vor dem Reißbrett den Kopf, wieso tüftle ich diese tolle Taktik aus – statt mich einfach hinzulegen, Däumchen zu drehen, das Vaterunser zu beten und dem Flittchen Fortuna eine Kusshand zuzuwerfen wie Pep Guardiola, Jürgen Klopp oder Pal Dardai? Dem Berliner hat sie als Losfee fürs Halbfinale des DFB-Pokals jetzt auch noch ein Heimspiel zugeschanzt – vermutlich geht er mit der Mannschaft dann vorher noch schnell zum Spanferkelessen.

Kramny setzt auf seine Jeans

Schwein muss man haben.

Oder eine Jeans, wie Jürgen Kramny. Gegen Dortmund ist der Schuss zuletzt zwar in die Hose gegangen, aber der Pokal hat halt seine eigenen Gesetze, und locker sagt der VfB-Trainer jetzt: „Vielleicht komme ich gegen Hertha im Anzug.“ Pal Dardai will dagegenhalten, indem er vor dem Anpfiff eine Hasenpfote verschluckt und ein vierblättriges Kleeblatt küsst.

Das Duell der Glückspilze ist also völlig offen, und dazu passt die Eilmeldung, die uns soeben erreicht: Ihr Groupie arbeitet demnach an einem Unentschieden – das Luder könnte es dann weiter mit beiden treiben.