Israel braucht unsere Solidarität, auch wenn es nicht immer einfach ist, die Politik des Landes zu begreifen, schreibt unser Autor Götz Aly.

Stuttgart - Wer von meinen Jerusalemer Freunden die alt-neue Regierung gewählt hat, verteidigt sie nicht, sondern zieht sich mit allgemeinen Redensarten aus der Affäre. Die anderen, die Benjamin Netanjahu für einen Halunken halten, reagieren auf Nachfragen mit verächtlichen Grimassen. Ändern wird sich ohnehin nichts, darin sind sich alle einig. Die drückenden Zölle und Steuern werden bleiben, ebenso die Palästinenser, die großen latenten und die kleinen alltäglichen Gefahren, Korruption, Staus, Wohnungsnot. Klingt nach Depression. Aber die meisten Israelis freuen sich des Lebens, sprudeln Witze heraus, und zwar solche, die man in Deutschland besser nicht erzählt, allenfalls den harmlosesten: Trifft eine jüdische Mamme ihre Freundin und sagt: Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. – Fang’ mit der schlechten an! – Mein Sohn ist schwul. – Hm, und die gute Nachricht? – Sein Freund ist Arzt!

 

Stolz auf den eigenen Staat

Mit Recht sind die Israelis stolz auf ihren vor 67 Jahren neu geschaffenen Staat, ihre ungemein vielfältige Gesellschaft, ihren Reichtum an Charakteren, die lebenslustigen jungen Leute und die vielen frohsinnigen Kinder. Stolz sind sie aus guten Gründen auf ihre schlagkräftige Armee, deren so heiter wirkende Rekruten und Rekrutinnen (drei bzw. zwei Jahre Wehrpflicht) eines demonstrieren: So wehrlos wie im Holocaust werden wir nie wieder Opfer! 2014 hat die UN je 2000 Bürger in 160 Staaten nach ihrem subjektiv empfundenen Glück befragt (World Happiness Report). Dabei landete das von Feinden umzingelte Israel auf dem sensationell guten Platz 11. (Zum Vergleich: Deutschland Platz 26, das saturierte Österreich auf 8, Italien auf Platz 46, Russland auf 68.)

Die neue Regierung ist gebildet

Nun ist die neue israelische Regierung gebildet. Als stellvertretender Verteidigungsminister mit dabei und zuständig für die halbwegs reibungsarme Zivilverwaltung der besetzten Gebiete ist Eli Ben-Dahan. Er äußerte 2013: „Die Araber sind Tiere, keine Menschen.“ Auch findet er, ein Jude stehe – „selbst wenn er homosexuell ist“ – seelisch viel höher als ein Nicht-Jude. Ben-Dahan gehört zur Partei Jüdisches Heim, ebenso Justizministerin Ajelet Schaked. Sie möchte die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts kräftig beschneiden, weil sie die Richter „zu links“ findet. Arje Deri führt die ultraorthodoxe (betont homophobe) Shas-Partei, musste 2000 als Innenminister wegen Bestechlichkeit abtreten, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt und ist jetzt Wirtschaftsminister. Miri Regev (Likud), die neue Kulturministerin, machte sich als Chefzensorin der Armee verdient. Vor drei Jahren, als in Tel Aviv schwere Rassenkrawalle gegen Flüchtlinge aus dem Sudan tobten, kommentierte sie: „Die Sudanesen sind wie ein Krebs in unserem Körper.“ Am nächsten Tag entschuldigte sie sich – bei den israelischen Krebskranken, weil sie diese mit Afrikanern verglichen hatte.

Zugegeben: Es ist nicht immer einfach, die Weisheit levantinisch-israelischer Politik zu begreifen. Wir wollen es dennoch weiterhin versuchen. Israel braucht unsere Solidarität. Dieses zauberhafte Land funktioniert trotz allem nicht schlecht, es bleibt bedroht, und wir wollen zu seinem Schutz beitragen. Ich fühle mich dort wohl. Meine Freunde leben dort glücklich. Aber mitten im Glück beschleichen manche tiefe Zweifel, und sie raten ihren Kindern zu einer zweiten Staatsbürgerschaft.

Vorschau
Am kommende Dienstag schreibt an dieser Stelle unsere Autorin Sibylle Krause-Burger