Mit dem Thema Tod irritiert der Conférencier Merlin in der Show „Circus Circus“ im Friedrichsbau. Darf er das? Wir haben den Weißclown und den Zuschauer, den es getroffen hat, nach der Vorstellung zusammengebracht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Auf einer Art Grabstein steht mit weißer Kreideschrift: „Lars 1988–2017“.

 

Wir sind in der Show „Circus Circus“ im Friedrichsbau. Die typische Zirkusmusik läuft. Gut gelaunte Menschen im Saal staunen, lachen, trinken zwischendurch einen Schluck. Manche halten Händchen. Wohl alle amüsieren sich. Ein Abend im Sorglos-Modus.

Und dann das!

Der weiß geschminkte Clown Merlin fragt einen jungen Mann in einer vorderen Reihe nach seinem Namen. „Lars“, lautet die Antwort. Sodann will der Conférencier das Geburtsjahr von Lars wissen.

Lars kam 1988 auf die Welt. Merlin schreibt ruhig auf den Grabstein der Bühne „Lars 1988–2017“. Doch Lars lebt.

Die Show der Freaks

Oft kommt der Tod unerwartet, ganz ohne Vorwarnung. So ist das auch in der Zirkusshow der Freaks und verrückten Vögel, für die ein kleines Zelt vorm Theater steht. Gerade noch fließen Tränen vor Freude. Gerührt und vergnügt zugleich sind viele, wenn sich die süße Katzenpuppe von Silea dagegen wehrt, durch einen Reifen zu springen. Und dann reißt der Grabstein auf der Bühne das Träumen jäh entzwei. Weißclown Merlin will von Lars wissen, was sein Leben bisher ausgemacht hat, was das Typische für ihn sei.

Lars überlegt nur kurz. „Leidenschaft“, antwortet er. Merlin schreibt dieses Wort auf den Grabstein unter den Jahreszahlen. „Sehr schön“, sagt er.

Der Tod wird überall ausgegrenzt

Später, nach Schlussapplaus und letzten Späßen, treffen sich der Clown und der Leidenschaftliche im Foyer. Der junge Mann mit der Mütze heißt Lars Schemmerling, er ist Bühnentechnik- und Beleuchtungsmeister des Musicals „Bodyguard“ im Palladium-Theater. An seinem spielfreien Abend will er noch mehr von der Stuttgarter Kultur sehen. Unterhaltung hat er erwartet. Im bunten Zirkusambiete wird er dazu gezwungen, über sein Ableben nachzudenken. Und auf den eigenen Grabstein muss er blicken.

Wir alle wissen, dass jeder von uns einmal dran ist. Keiner bleibt übrig. Doch im Verdrängen sind wir so gut, als ließe sich der Tod aus dem Leben lügen.

Dabei hat der Tod Bedeutung, was Christen in den dunklen Novemberwochen mit dem Totengedenken besser verstehen als in den anderen Jahreszeiten.

Lars Schemmerling ist nicht böse auf den Weißclown. Er lächelt und bedankt sich bei ihm. Nein, er habe keine Sterbensangst vor seinem baldigen Ende bekommen. Enden könne das Leben immer. „Wie oft sagt man, ‚leb so, als wär’ es der letzte Tag‘“, sagt der Weißgeschminkte, „aber man tut’s nicht.“ Der Tod werde überall ausgegrenzt, weshalb er ihn nun auf die Bühne holt.

Der Weißclown als Philosoph

Schon früher hat Merlin, der als Weißclown im Gegenpart zum dummen August traditionell die zirzensische Verkörperung der Vernunft darstellt, die Grabstein-Nummer aufgeführt. Dafür sucht er junge Zuschauer aus, bei denen der Tod hoffentlich noch weit entfernt ist. Ältere Menschen wolle er mit der Vorstellung, dieses Jahr zu sterben, nicht belasten.

Das Leben ist endlich – jeder weiß es. Endlich sollte man herausfinden, was das Leben reich macht. So sehr stecken wir im Alltag und in der Gewohnheit fest, dass wir uns dabei selbst aus den Augen verlieren. Keiner kann sein Leben verlängern, aber intensivieren und lernen, den Augenblick zu genießen. Der Weißclown ist ein Philosoph, danke, Merlin! Und danke, Lars! Der Leidenschaft, wie wahr, sollten wir immer eine Chance geben.