Konservative und andere Sprachwärter sorgen sich ums Deutsche – nicht so unser Autor Götz Aly.

Berlin - Unter dem Titel „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“ erschien 2013 der erste Bericht „zur Lage der deutschen Sprache“. Vor wenigen Wochen folgte der zweite zum Thema: „Vielfalt und Einheit der deutschen Sprache“ (Stauffenburg Verlag, 331 Seiten, 29,95 Euro). Gegenstand dieses von einer unserer würdigsten Akademien getragenen Bemühens ist das Deutsche – eine von mehreren Tausend Sprachen der Erde. Sie entstand vor 1200 Jahren aus dem Westgermanischen und wird derzeit von rund 100 Millionen Menschen gesprochen und geschrieben.

 

Nicht wenige fürchten um ihren Bestand, aber solchen Pessimismus teilen die empirisch arbeitenden Berichterstatter nicht. Sie beobachten und begleiten den Wandel. Sie schreiben über die Internet- und die Jugendsprache, den Regiolekt ebenso wie über das Standard- und das Migrantendeutsch. Sie machen sich weder mit konservativen noch mit angeblich fortschrittlichen Wortwarten gemein. Sie kennen und lieben unsere Sprache, fühlen sich in ihr wohl, so wie einst der exilierte Heinrich Heine: „Und als ich die deutsche Sprache vernahm, / Da ward mir seltsam zu Muthe; / Ich meinte nicht anders, als ob das Herz / Recht angenehm verblute.“

Von Adieu zu Auf Wiedersehen

Nichts an dieser wunderschönen Sprache wird verhunzt, wenn ein zwölfjähriger Berliner grammatikalisch wacklig, aber prägnant mitteilt: „einglisch hab isch da mehr familie in der Türkei, hier hab ich nur so paar onkel und dis wars.“ Leicht verständlich ist es, wenn sich „madcow2“ mit „bye ihr leuts“ aus einem Chat verabschiedet. Der Tübinger würde umgangssprachlich sagen „Adeele“ (verschwäbelter Diminutiv von Adieu). Die Oberbayerin verabschiedet sich mit „pfiad di“ (behüte dich Gott). Bis 1914 war das französische Adieu (zu Gott) der häufigste Abschiedsgruß in Deutschland, auch das norddeutsche Tschüss leitet sich davon ab. Erst die Freunde des damaligen Korrektheitswahns forderten 1914: „Fort mit dem welschen Gruß ‚Adieu‘! Wir grüßen deutsch ‚Auf Wiedersehn‘!“ Die dreijährige Mila spricht nicht einfach falsch, wenn sie sagt: „Ich musse jetzt zum Essen kommen.“ Denn grammatikalisch baut sie das Modalverb müssen so in ihren Satz, als würde sie allein das Vollverb kommen gebrauchen und sagen: „Ich komme jetzt zum Essen.“ Mila hat bereits begriffen, wie die erste Person Singular von Vollverben gebildet wird.

Der Berliner Linguist und führende deutsche Grammatiker Peter Eisenberg bekennt im Kapitel über das „Standarddeutsch“, dass eine Sprache wie die unsere „ohne Normen nicht auskommt, diese aber mit keinerlei Wertung bezüglich der Sprache selbst (...) verbunden sein sollten“. Zu den Normen gehört, dass sich die Berufsbezeichnung Bäcker nicht durch das substantivierte Partizip die Backende ersetzen lässt. Wer sich backend an einem Kuchen versucht, ist noch lange kein Bäcker. Wenn ich aus einer Raucherkneipe flüchte, bin ich ein Geflüchteter, aber kein von der Genfer Konvention geschützter Flüchtling. Deshalb verurteilt der sonst so tolerante Professor Eisenberg es als „gruppenegoistische Rücksichtslosigkeit“ und „schwere Eigenmächtigkeit“, wenn der Berliner Senat und einzelne Bezirke mit „sprachpolizeilichen Allüren“ in den Sprachgebrauch eingreifen. Ein Buch zu Weihnachten – für Kenner und Liebhaberinnen der deutschen Sprache!

Vorschau
In der kommenden Woche schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Katja Bauer.