Mit missionarischem Eifer versuchen einige, unsere Nationalgeschichte zu reinigen – kritisiert unser Kolumnist Götz Aly .

Stuttgart - Nicht wenige deutsche Zeitgenossen betätigen sich als eifernde Hüter sehr spezieller Wertvorstellungen: Die einen demonstrieren für eine spezielle Ernährungsüberzeugung, andere heiligen den Fahrradfahrer als solchen, wieder andere schützen obsessiv Tiere, Hartz-IV-Empfänger, Mieter, Migranten oder verlegen Stolpersteine. In Maßen praktiziert erscheint mir all das ehrenwert. Doch geht mir missionarisches Getue auf die Nerven. Sträflich finde ich die Einbildung, auf solche Weise gelänge es den Einpunktaktivisten, das Gute zu retten und das Böse zu bekämpfen. Als Historiker habe ich häufig mit dem Spezialfall der Geschichtsexorzisten zu tun. Sie verstehen sich als Teufelsaustreiber und finden in unserer Nationalgeschichte reichlich Futter. Meist pflegen sie verbissen und auf sehr deutsche Art, humorlos vorzugehen. Sobald sie die Umbenennung irgendeiner Straße oder Universität durchgesetzt haben, bilden sie sich ein, sie könnten jetzt dauerhaft von sich behaupten: Wir gehören zum besseren Teil der Menschheit.

 

Ja, Arndt war Juden und Franzosenhasser. Aber nicht nur.

Nach jahrelangem Hin und Her traf es in der vergangenen Woche die Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Sie heißt jetzt nur noch Universität Greifswald. Keine Frage, Arndt war Juden- und Franzosenhasser – aber, auch das stimmt, er war vor 200 Jahren einer unserer führenden Demokraten. Ernst Moritz Arndt kämpfte gegen die Pfaffenherrschaft, Pressezensur und Leibeigenschaft; er stritt für unabhängige Rechtsprechung, allgemeine Schulbildung und für eine die Zivilisten schonende Landkriegsordnung, die erst hundert Jahre später zu internationalem Recht wurde.

Als Vorkämpfer deutscher Einheit und Volkssouveränität ehrten ihn später gleichermaßen Demokraten, Nazis, Kulturlenker der DDR und Repräsentanten der Bundesrepublik. Wir verdanken ihm viel, obwohl er, wie auch Martin Luther, seine dunklen Seiten hat. Darüber findet sich alles Wesentliche zum Beispiel in meinem Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“. Dennoch bin ich dagegen, Arndt aus dem nationalen Erinnerungshorizont zu tilgen. Ich halte solche Umbenennungen für selbstherrliche Siegergeschichte. Sie wird von politisierten, hoffärtigen Rechthabern betrieben, denen jede Demut gegenüber den Grenzen, Leistungen und Irrtümern früherer Generationen abgeht, und zwar aus einem einzigen Grund: Sie halten sich selbst für unfehlbar.

Die Ambivalenzen dürfen nicht vertuscht werden

Was auf Arndt zutrifft, gilt für die frühen Burschenschaftler, für Turnvater Jahn, Heinrich Hoffmann von Fallersleben oder Friedrich List. Sie alle zählen zu den Urvätern der deutschen Demokratie, von ihnen haben wir unsere Nationalhymne und die Farben Schwarz-Rot-Gold. Zweifellos und im Gegensatz zum Reaktionär Metternich waren die genannten Fortschrittler alle auch Judengegner. Aber bessere Demokraten haben wir nicht. Gerade deshalb sollten wir sie nicht vergessen, nicht aus dem öffentlichen Bild verbannen, sondern uns ihrer als Menschen erinnern, die stets das aus ihrer Sicht Gute wollten – und dabei das Böse mit schufen.

Das Problem des deutschen Antisemitismus besteht darin, dass er nicht vor allem in den nationalen Dreckecken entstand, sondern vielfach von Leuten gefördert wurde, die wir aus andern Gründen mit Recht ehren. Wer solche Ambivalenzen vertuscht, betreibt Geschichtsklitterung und Gegenaufklärung.