Jeder zweite Deutsche hat Angst wegen der Flüchtlinge. Die Verunsicherung muss man ernst nehmen, meint StZ-Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Jeder zweite Deutsche stimmt zurzeit folgender Aussage zu: „Es macht mir Angst, dass so viele Flüchtlinge zu uns kommen.“ Die Angst der Hälfte aller 80 Millionen in diesem Land scheint sich auf dasselbe Objekt zu richten: andere Menschen. Die Zahl derer, die der Umfrage zufolge so empfinden, ist binnen eines Monats um 13 Prozentpunkte gestiegen. Es wird jetzt viel darüber geredet, dass „die Stimmung kippt“. Das klingt nach einfacher Wahrheit – aber der Satz ist gefährlich. Nicht, weil er wahr wäre. Er ist das Gegenteil einer präzisen Zustandsbeschreibung. Er ist zugleich suggestiv und diffus. Wer oft genug behauptet, eine Stimmung kippe, der beteiligt sich daran, sie zum Kippen zu bringen. Wer ständig von Stimmung spricht, der rechtfertigt und pflegt ein kindisches Dasein in der emotionalen Schmollecke.

 

Den Satz mit der Angst, den sollte man dagegen ernst nehmen. Er ist Ausdruck einer Verunsicherung. Diese Gesellschaft ist so daran gewöhnt, für alles immer einen sehr genauen und funktionierenden Plan gemacht zu bekommen. Jetzt werfen die Zeitläufte einfach mal unseren Plan über den Haufen. Und die von uns beauftragten Planer geben mehr oder weniger offen zu, dass sie für diese Entwicklung keine Blaupause haben. Das ist ehrlich, und es ist keine Katastrophe. Nur leider halten wir solcherart Spannung in unserem geregelten Dasein sehr schlecht aus. Improvisation ist jetzt gefragt, es geht zurzeit manches schief, und es wird auf längere Sicht so bleiben – eine Herausforderung. Es wird unbequem werden, jedenfalls ein bisschen. Und vor allem: vieles ist so ungewiss.

Halb Deutschland scheint zu bibbern

Halb Deutschland scheint deshalb also zu bibbern. Es wäre sehr lohnenswert, den Satz mit der Angst genauer zu hinterfragen. Weder hilft es, ihn abzutun als die Ablehnung angeblicher Rassisten, noch darf man der Angst erlauben, die Grundlage fürs Handeln zu bilden. Angst löst kein Problem. Dass mehr als eine Million Menschen in diesem Jahr versuchen, in Deutschland Zuflucht zu finden, bringt Probleme. Wo werden diese Menschen alle wohnen? Wie wird das in der Schule meines Kindes sein? Wo wird das Geld fehlen, das diese Hilfe kostet? Wird sich die Gesellschaft in ihren Werten verändern? Wird ein rechter Mob unser Land wieder zu einem machen, in dem Menschen Menschen verbrennen? Wer sich diese Fragen stellt, der antwortet vielleicht auf die Frage nach der Angst: Ja. Vielleicht meinen viele: ich halte die Ungewissheit schwer aus.

Man wünscht sich in dieser Situation Politiker, die beherzigen, was der Unionsfraktionschef Volker Kauder letzte Woche im Bundestag gesagt hat: Wenn die Menschen verunsichert seien, sei es nicht Aufgabe der Politik, für zusätzliche Verunsicherung zu sorgen. Man wünscht sich Politiker, die nicht populistisch herumpoltern und von taxifahrenden Flüchtlingen erzählen, die nicht an genau jenem Grundgesetz herumschrauben wollen, dessen Einhaltung sie sehr zu Recht von jedem Flüchtling fordern. Man wünscht sich Politiker, die uncharismatisch und nüchtern all diese Fragen zu beantworten versuchen, die ehrlich sind, die für Information sorgen, die sagen, was schwierig ist. Vielleicht würden sie es schaffen, dass mancher ein bisschen weniger bibbert und stattdessen der Lage mit etwas Optimismus begegnet. Dazu hätte die Gesellschaft nämlich allen Grund, wenn sie so zurückblickt auf die Erfahrung mit sich selbst in den letzten Jahrzehnten.