Der Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski verbreitet immer wieder falsche Zahlen zur Asylpolitik. Darauf hingewiesen kontert er: Das was man fühle, sei schließlich die Realität. Ein hochgefährliches Argument, meint Katja Bauer.

Berlin - Als der Berliner AfD-Mann Georg Pazderski im Wahlkampf gefragt wurde, warum er ständig über die Kriminellen unter den Zuwanderern spricht und nie über die große Mehrheit der nicht Kriminellen, antwortete er etwas Wichtiges: „Perception is reality. Das heißt: was man fühlt, ist auch Realität.“ Das Beste, was man über diesen Moment sagen kann, ist wohl, dass es ein Augenblick der Wahrhaftigkeit war.

 

Pazderski, Ex-Bundeswehroffizier und für die Nato aktiv, hat diesen Satz aus Amerika mitgebracht. Er stammt von Lee Atwater, einst Wahlkampfmanager des republikanischen Präsidentschaftskandidaten George Bush. Atwater ist mittlerweile verstorben. Auf dem Totenbett bat er sein prominentestes Opfer, den demokratischen Kandidaten Michael Dukakis, um Verzeihung. Atwater sagte, es sei eine „nackte Grausamkeit“ gewesen, wie er Dukakis diskreditiert habe, indem er ihn für die Straftat eines verurteilten Mörders mitverantwortlich machte. Als Wahlkämpfer beherrschte und nutzte Atwater die Kunst der „negative politics“.

Abschied von der Realität – wenn sie nicht passt

Der Satz, den der künftige Fraktionschef der AfD aus dieser Welt mitgebracht hat, sagt im Kern, dass es politisch legitim ist, sich von der Realität zu verabschieden, wenn sie gerade nicht passt. Die AfD ist nicht die einzige Partei, die zur Mobilisierung auf die Emotionen der Wähler setzt. Aber wenn Gefühle über die Faktenlage siegen und politisches Handeln begründen sollen, dann assoziiert man nicht ohne Grund die horrible Idee des gesunden Volksempfindens - jenes möglichst von Fakten unverbildeten Sentiments, das in einem „völkischen“ Bauch vor sich hin grummelt.

Die AfD ist auch bereit, den Prozess umzukehren und Gefühle überhaupt erst zu erzeugen oder zu schüren, um sie als Faktenersatz zu nutzen und damit einen politischen Willen zu schaffen. Leider scheint das zu funktionieren. Georg Pazderski zum Beispiel wurde mehrfach in Interviews oder Talkrunden von Journalisten darauf hingewiesen, dass die angeblichen Fakten, die er präsentiert hatte, schlicht nicht der Realität entsprächen. Dazu gehörten gegenüber der „Berliner Zeitung“ falsche Angaben über nicht besetzte Polizeistellen, eine zu hoch angesetzten Summe für Taschengeld für Flüchtlinge oder über angeblich viel zu hohe Kosten pro minderjährigem Flüchtling. Als er mit der Wahrheit konfrontiert wurde, reagierte er nicht mit einer Entschuldigung für die Falschinformation, sondern mit der schlichten Bemerkung: „Selbst dann wäre es viel zu teuer.“ So negiert man Fakten und ersetzt sie durch ein Gefühl – in diesem Fall: Verteilungsneid. In Mecklenburg-Vorpommern machte die AfD die Überfremdung zum erfolgreichsten Thema ihres Wahlkampfes – es gibt sie nur nicht. Der Migrantenanteil liegt bei 3,7 Prozent. Aber es gelang, ein anderes Gefühl zu schüren.

Ein Ziel ist die Diskreditierung

Neben diesem Schüren von Ängsten ist auch Diskreditierung ein Ziel, und die Nutzung von Sprache als Waffe um politisches Denken zu lenken, spielt dabei eine wichtige Rolle - man hetzt in einer Weise, wie sie vor wenigen Jahren in diesem Land noch nicht denkbar war: „Wie krank im Geschlecht und im Geiste, wie unnatürlich verkommen ist diese rot-grüne Gefolgschaft?“ – so spricht der Magdeburger AfD-Politiker Andre Poggenburg über Menschen, die politisch anders denken als er.

Mit all diesen Mitteln geht es darum, Schneisen der Emotionalität in die sachliche Auseinandersetzung zu schlagen. Leider sieht es so aus, als gelänge dies immer besser. Die Folgen könnten fatal sein: Wer in einem von der Faktenlage entkoppelten, ultrahocherhitzten Diskurs die Deutungshoheit hat, ist mit Sachargumenten nicht zu besiegen.