Vor dem Auswärtsspiel am Sonntag beim VfB Stuttgart kocht Uli Hoeneß wie noch nie: Der Bayern-Boss spannt andere Saiten auf – ohne Linsen und Spätzle.

München/Stuttgart - Raúl González Blanco soll dieser Tage grässlich erschrocken sein. Er ist ein Halbgott des Fußballs, alle Welt liebt ihn als Raúl, er war der Königliche von Real und der Königsblaue von Schalke und wird als künftiger Co-Trainer von Pep Guardiola beim FC Bayern gehandelt – und was sagt mitten hinein in diese feierliche Spekulation der Bayern-Präsident Uli Hoeneß: „Es ist mir im Moment völlig egal, wer in der nächsten Saison bei uns die Bälle aufpumpt oder die Eckfahnen auf den Platz trägt.“

 

Als stolzer Spanier muss Raúl da erst einmal nach Luft schnappen, aber er wird es verkraften, denn er kennt ja die Bundesliga und den Temperamentsbolzen Hoeneß. So gezündelt wie in dieser Saison hat Letzterer allerdings noch nie, ständig schiebt er eine Schippe Briketts mehr in seinen Hochofen an der Säbener Straße, verkündet als tönende Wochenschau vom Berg Sinai herab seine „Zehn Gebote“ und knöpft sich jeden vor, der dagegen verstößt.

Hoeneß weiß, wo der Barthel den Most holt

Fragen Sie Theo Zwanziger, falls das noch geht. Der Ex-DFB-Präsident ist wie von der Bildfläche verschwunden, seit er fand, Hoeneß entwickle sich zum „Clown“, „Scharfmacher“, „Besserwisser“ und „Sprücheklopfer“. Mit dem Teppichklopfer hat der Boss der Bayern-Abteilung Attacke den Theo daraufhin aus der Öffentlichkeit verscheucht, während Hoeneß selbst neuerdings Doubles beschäftigen muss, um noch all seinen Verpflichtungen nachzukommen, in denen er dem Rest der Welt den Krieg erklärt, mindestens aber zeigt, wo der Barthel den Most holt.

Da steht einer unter Strom, als gäbe es kein Morgen, und der Angriffscoup mit Guardiola war nur vollends das Tüpfelchen aufs i der Generalattacke zuvor – all die armen Kerle, die Hoeneß im Lauf der Saison schon zu spüren bekommen haben, stehen geradezu Schlange mit ihrer flehentlichen Bitte an den Gefürchteten, den Ball auch mal flach zu halten. Den Ball flach halten? Da lachen die Hühner, aber vor allem der Hoeneß – den Ball vom EM-Endspiel 1976 sucht man heute noch, so hoch hat er ihn beim Elfmeterschießen über das Belgrader Stadion hinausgedroschen. Nein, Hoeneß hält die Kugel nicht flach, er jongliert sie sich über die Schultern auf den breiten Scheitel und von dort diesen Nörglern direkt ins Auge – erst recht, wenn sie ihn hinstellen wie einen Dampfplauderer, der sich für den Schnabel der Welt hält.

Mit einem Blick, der einen Stier töten könnte

Seit letzten Mai geht es Schlag auf Schlag. Auslöser waren wohl die Nackenschläge durch die Dortmunder, gefolgt vom Tiefschlag durch Chelsea, als Susi Hoeneß ihren Mann auf der Tribüne nur noch tröstend von hinten umarmen konnte – während der nach vorne ins tiefe Loch der Leere stierte mit einem Blick, der einen Stier hätte töten können.

Seither macht er keine Gefangenen mehr und spannt trotz seiner schwäbischen Herkunft ganz neue Saiten auf, ohne Linsen und Spätzle. Verschluckt daran hat sich als Erster der alte Albbomber und Beutebayer Mario Gomez – den hat Hoeneß geschwind einen Kopf kürzer gemacht („Er ist gut, aber wenn er sehr gut wäre, wären wir jetzt Champions-League-Sieger“). Der Sportdirektor Nerlinger hat den Sommer überhaupt nicht überstanden, auch Dirk Bauermann, der Ex-Bundestrainer im Basketball, musste als Bayern-Trainer einsehen, dass der Präsident von Basketball einfach mehr versteht.

Jogi Löw und die Tischtennisplatten

So ist Hoeneß praktisch alle paar Tage gezwungen, die wunden Punkte beim Namen zu nennen. „Jetzt red i“, sagt er sich morgens, die Engel legen dann erschrocken die Harfen beiseite, der halbe Fußball steht stramm, und wenn der Tag anschließend lang genug ist für das eine oder andere Interview, weiß abends a) Felix Magath, dass seine Trainingsmethoden von vorgestern sind, b) Louis van Gaal, was er bei den Bayern alles falsch gemacht hat, c) Miro Klose, dass er in Länderspielen weitgehend nur „gegen Liechtenstein und Co.“ trifft , d) Jogi Löw, dass er zu viel an Tischtennisplatten trainieren lässt und e) die Dortmunder Borussia, dass sie „eine relativ regionale Sache“ ist – so oder ähnlich muss Hoeneß als Global Bayer immer wieder in die Luft gehen, um all diese Halblebigen auf eins fünfzig mit Hut herunterzustutzen. Unter f), fast hätten wir es vergessen, müssen wir nochmals auf Zwanziger zurückkommen, dem Hoeneß öffentlich auf die Sprünge half mit dem Rat, sein little Englisch zu verbessern oder im Fifa-Exekutivkomitee nicht als Blatter-Marionette zu tanzen („Die haben ihn umgarnt, und er lässt sich beschmusen“) – genauso gut hätte er auch vollends sagen können, dass der Fisch vom Kopf her stinkt, oder nochmals wiederholen, was er einst der Gewerkschafterin Ursula Engelen-Kefer in einer Talkshow bescheinigte: „Sie machen immer nur Theorie, Sie haben in Ihrem Leben noch nie Bratwürste verkauft.“

Die Chronologie der Cleverness

Er schon, als Bub, in der elterlichen Metzgerei in Ulm. Seither weiß Hoeneß, wer eine Bratwurst ist. Jedenfalls hat er seinen Feinden samt dem Zwanziger und dessen Vorwurf („Nur in den Talkshows die Sprüche raushauen langt auf Dauer nicht“) den Wind aus den Segeln genommen, den Sprüchen Taten folgen lassen – und die vorläufig größte heißt Guardiola. Wie er dieses Pep-und-Jupp-Spektakel durchgezogen hat, ohne nennenswerte Rücksicht auf die ahnungslose Öffentlichkeit, raubt einem schier den Atem. Die Chronologie der Cleverness begann am Montag oder Dienstag voriger Woche damit, dass die Bayern bei der Trainerplanung für die nächste Saison ungefähr sagten: Wir fragen jetzt erst mal Jupp Heynckes, den zweitbesten Trainer der Welt – und nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass der partout nicht mehr will, bleibt uns dann womöglich nichts anderes mehr übrig, als die Kröte zu fressen und den besten Trainer der Welt zu holen.

Tags darauf folgte dann die Bayern-Presseerklärung: „Jupp Heynckes beendet seine Karriere zum Saisonende.“ Die weiteren Zeitabläufe müssen sich anschließend etwa so gestaltet haben: Uli Hoeneß rief fünf Sekunden später bei Guardiola an, und Pep fragte, ob Don Jupp wirklich aufhören will. „Si, si“, hat ihm Hoeneß bedauernd geschworen, weitere fünf Sekunden später war die Gage ausgehandelt, und Guardiola hat bis 2016 spontan unterschrieben, per Handschlag, durchs Telefon.

Heynckes, sein Freund Uli und sein Präsident Hoeneß

Perfekter und diskreter geht es nicht. Sogar Jupp Heynckes wurde von seinem eigenen Karriereende so total überrascht, dass er nach dem ersten Schock dringend bat: „Ich möchte meinen Entschluss schon selbst verkünden.“ Ja, was jetzt, stutzen da natürlich sofort alle Lästergoschen, wollte er gar  nicht aufhören, was ist da an (Un-)Freiwilligkeiten wirklich passiert beim Dreiergipfel zwischen dem Trainer Heynckes, seinem Freund Uli und dem Präsidenten Hoeneß?

Egal. Was zählt, sind unter dem Strich nicht die plumpen Verdächtigungen, sondern die nackten Fakten, und die sprechen bei Uli Hoeneß für sich: Je älter der Präse wird, desto mehr juckt ihn der Pfeffer unter der Pobacke – jedenfalls hat er Pep.