Der Trainer des VfB Stuttgart, Alexander Zorniger, hat an diesem Donnerstag Geburtstag. Und wie heißt es bei uns? Mit 48 werden wir Schwaben gescheit.

Stuttgart - Ein Forscher hat im „Spiegel“ behauptet: „Die Leistung, die dem Gehirn beim Fußball abverlangt wird, ist größer als beim Schach.“ Fußball ist also Denksport, und man muss sich das Hirn um viele Ecken herum zermartern, um beispielsweise die Frage zu klären, warum sich der VfB seit Jahren im Kreis dreht – aber bevor dann die Birne brummt, geben viele schnell wieder auf und begnügen sich mit der einfachsten und bequemsten Antwort: Der Trainer ist schuld.

 

Es ist wie in der Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Bill Murray spielt einen TV-Wetterfrosch, der ständig denselben Tag durchlebt – der beginnt stets morgens um Sechs, wenn neben ihm der Wecker schellt.

Beim VfB grüßt seit Jahren täglich der Trainer.

Zur Zeit ist Alexander Zorniger schuld, als halsbrecherischer Hasardeur und hartherziger Haufdruff – weil er aus Mutlangen kommt, fühlen sich die ängstlichsten Aktivisten sogar erinnert an die in den 80ern dort stationierten Pershing-II-Raketen und rufen dazu auf, die Zeitbombe Zorniger zu blockieren, bevor sie den VfB in die Luft jagt und nuklear verseucht.

Zu Bobic sagt Zorniger ausnahmsweise nichts

Vor allem Fredi Bobic ist besorgt. Der Stuttgarter Exmanager hat als „Sport 1“-Experte erklärt, dass sich der VfB, wir zitieren, „in seiner Offensivpower selbst verheddert und zudem noch von einem Trainer geführt wird, der dem brutalen Bundesligageschäft mit all seinen Nebenkriegsschauplätzen nicht gewachsen zu sein scheint.“ Um ein Haar hätte Zorniger darauf geantwortet, dass er zur Zeit die Scherben zusammenkehrt, die Bobic hinterlassen hat, weil der seinem Job auch nicht gewachsen war.

Doch Zorniger schweigt. Das fällt ihm nicht leicht, denn normalerweise leert er sich den Kropf, ohne Rücksicht auf Kopf und Kragen – doch an diesem Donnerstag wird er 48, und die Geburtstagstorte in Verbindung mit der beginnenden Altersmilde stimmen ihn gelassen. Außerdem spürt er ein paar Leute noch hinter sich, keiner im Stadion brüllt „Zorniger raus!“, denn noch nie hat ein Tabellenletzter einen so aufregenden Fußball gespielt. Man stelle sich vor, das Glück kommt auch noch dazu.

Der Skalp des Trainer ist ein begehrtes Gut

Dummerweise denken Zornigers Jäger anders. Der Skalp des Trainers ist in Stuttgart begehrt, und sie werfen ihm vor, dass er draufloskicken lässt wie ein Kamikaze, drauflosquatscht wie Donald Trump, seine Pflegefälle mit der Peitsche therapiert und Schlagzeilen provoziert wie: „Die Spieler mucken auf.“ In Wahrheit muckt Zorniger auf – mit Küsschen, Küsschen, Küsschen, schimpft er, kommt der VfB nicht heraus aus dem Teufelskreis.

Darf ein Trainer über die Stränge schlagen?

Jein, jein und nochmal jein. Zuviel Klartext ist ein Trapezakt auf dem Hochseil, statt dem Knoten kann bei einem Kicker auch leicht der Kragen platzen. Aber der pädagogische Holzhammer hat auch seinen Charme. Zwei Jahre lang hatte der als Rohdiamant gelobte Timo Werner stagniert – bis ihn Zorniger („Ich bin nicht sein Kindermädchen“) öffentlich durchschüttelte. Reibung sorgt für Energie, und es half, also hat der Trainer gegen Hoffenheim noch ein Brikett nachgeschoben und dem 19-Jährigen beigebracht, wie man als Schmidtchen zum Schmidt wird – mit Schüsschen, nicht mit Küsschen. Gehört Zorniger vor ein Menschenrechtstribunal? Siegmund Freud hätte den Fall relativiert, überliefert ist seine Psychoanalyse: „Der Erste, der anstelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation.“

Ein Verrückter als Trainer?

Werner wird es wegstecken – und wenn der Wortgewaltige aus Wutlangen Glück hat, gelingt ihm mit seinem Denkanstoß die Wende wie Huub Stevens, der in der Not „Affen! Ihr seid Affen!“ über den Trainingsplatz schrie. Auch da vermissten viele den Respekt des Trainers gegenüber den Spielern – viel seltener wird dagegen nach dem Respekt der Spieler gefragt. Wollte nicht im August noch geschwind der eine oder andere den VfB grußlos verlassen, ohne Rücksicht auf seinen Vertrag? Nicht immer sind Profis Mimosen – aber wehe, Stevens verirrt sich zoologisch oder Zorniger führt sich auf wie ein Elefant, der im Porzellanladen Selbstmord verübt.

Braucht der VfB womöglich so einen Verrückten als Trainer? Man kann erschrecken vor Zorniger, sollte ihm aber durchaus glauben, wenn er lospoltert: „Es geht darum, diese ganze Scheiße, die der VfB jahrelang hatte, zum Stoppen zu bringen.“

Dafür wurde er engagiert. Als Abrissbirne und Erneuerer. Die Walz von Wutlangen soll die Sünden der Vergangenheit plattmachen und den Weg ebnen in die Aufbruchstimmung. Es ist ein steiniger Weg, und deshalb haben sie diesen Trainer geholt, der Kante zeigt, also Cojones, oder wie sie auf der rauhen Ostalb sagen: „Oier.“ Zorniger hat drei oder vier davon, und er passt zum VfB, wie Christian Streich zu Freiburg, auch der kann kein Hochdeutsch. Die Trainerlizenz hat Zorniger mit Einskommanull gebaut, und er ist einer aus der taktisch anspruchsvollen Rangnick-Schule: Pressing, den Gegner jagen, ihm die Luft zum Atmen nehmen, Überfallfußball. Der VfB hat dafür eine talentierte Offensive, aber der Schuss geht bisher nach hinten los – denn für dieses riskante System braucht man Glück, schnelle Abwehrspieler und einen guten Torwart.

Selbst Spielerberater bedrohen den Teamgeist

Bis das alles kommt, muss Zorniger zittern, aber er kann sich nicht selbst verraten, das ist sein Ding, auf dem Platz und vor dem Mikrofon. In waghalsiger Direktheit kämpft er für seinen Stil und macht keine Gefangenen – entweder entfährt ihm ein Furz über einen Fachblattreporter („War dieser Schwachmat überhaupt beim Spiel?“), oder er bittet anlässlich einer Abwehrdebatte: „Kommt mir jetzt nicht mit Georg Niedermeier.“ Dabei will er seinem Schorsch gar nicht weh tun, er mag ihn, er weiß, dass das der beste Kerl und tollste Charakter seiner Mannschaft ist – was Zorniger tut und fühlt, hat der große Brahms einst am Stammtisch sensibel so beschrieben: „Sollte ich vergessen haben, jemanden zu beschimpfen, so bitte ich um Verzeihung.“

Aber gesagt ist gesagt. Niedermeiers Berater Roman Grill hat den spontanen Zorniger sofort öffentlich gegrillt und unnötigerweise noch gesagt, dass sein Schorsch immer zu denen gehört, die den VfB-Laden in der Not zusammenhalten, „glauben Sie, dass ein Kostic das macht?“ An dem Punkt zeigt sich die alte, verdammte VfB-Tragik: Zu viele Leute reden mit, sogar Spielerberater bedrohen den Teamgeist – denn wie soll Kostic mit Niedermeier jetzt noch vertraulich verkehren?

Zorniger trainiert auf schmalem Grat. Er spielt Hurrafußball und lässt seinen Worten freien Lauf nach der Devise: Man kann kein Omelette backen, ohne Eier zu zerschlagen. Die verbissensten Bruddler wollen ihn deshalb jetzt gleich wieder rausschmeißen und vermutlich durch Neururer oder Slomka ersetzen, doch zwei Dinge sprechen dagegen. Erstens: Zorniger brennt auch in der Krise noch, er zündelt und will mit den Funken seiner Leidenschaft ein Feuer entfachen. Aber vor allem hat er heute Geburtstag – und mit 48 wird bekanntlich jeder Schwob g’scheit.

Ein Maulkorb wäre doch ein schönes Geschenk!

Was kann man Zorniger schenken? Die VfB-Spieler haben da manchmal ein feines Näschen. Bananen haben sie damals für Stevens anderntags mitgebracht und seiner brandgefährlichen Affen-Nummer damit die Schärfe genommen. Dem Kampfhund von der Ostalb könnten sie jetzt einen Maulkorb schenken, und danach einen Sieg gegen Ingolstadt. Und der VfB sollte dem Trainer einen Rhetorikkurs spenden und im Winter zwei schnelle Abwehrspieler, denn jetzt muss endlich einmal Schluss damit sein, dass das Cannstatter Murmeltier täglich grüßt.

Im Kino ging das Happyend übrigens so: Morgens um Sechs schellte wie immer der Wecker – aber als sich Bill Murray im Bett umdrehte, räkelte sich neben ihm plötzlich eine schöne Rita.