Unser Kolumnist Oskar Beck meint, dass der umstrittene Fifa-Präsident Joseph Blatter nicht zum Rücktritt gezwungen werden kann. Stattdessen müsse man ihm den Schritt schmackhaft machen – mit der Aussicht auf das schöne Leben als Rentner.

Stuttgart - Als Patriarch und Begründer der glorreichen Ära des FC Bayern hat Wilhelm Neudecker einmal die Frage, wann er zurücktritt, mit dem Machtwort beantwortet: „Erst wenn ich tot bin. Und dann mache ich noch zwei Jahre weiter.“

 

Das ist im Moment ungefähr auch der Stand bei Sepp Blatter. Der große Vorsitzende des Fußballs erinnert an jene standhafte Sorte alter Männer, die den Führerschein freiwillig frühestens abgeben, wenn sie ein Kind überfahren oder zumindest die Schaufensterpuppen hinter der Frontscheibe eines Modehauses. Bei Blatter möchte man auch nicht Arzt sein, denn sobald ihm einer seine Beschwerden im linken Knie als altersbedingt auslegt, würde er vermutlich schnauzen: „Blödsinn, das rechte ist genauso alt und eins a in Schuss!“ So ähnlich reagiert der Fifa-Boss nun auch darauf, dass alle Welt wieder einmal knallhart seinen Rücktritt fordert.

„Nein, danke“, sagt der Sepp.

Chef des Schmiergeldladens

Der König des Fußballs macht es wie früher der Größte. „Als Boxer kassiert man pro Runde zwei Kopftreffer“, hat Muhammad Ali gesagt – aber je mehr er im Alter kassierte, desto sturer boxte er weiter. Auch Blatter kriegt als Chef seines Schmiergeldladens täglich auf die Nuss, schaltet aber auf störrisch, also auf Durchzug, und bevor er zwangsweise aufhört, bestellt er eher ein Vergeltungskommando und lässt für jede Rücktrittsforderung zehn Mann an die Wand stellen und mit Fußbällen beschießen.

Ein Blatter weicht nicht. Unaufhörlich und unnachgiebig stemmt er sich allen entgegen, die ihn in die Wüste, zum Teufel und vom Hof jagen wollen, er verbarrikadiert sich hinter seiner Doppeldeckung aus der eigenen Moral und dem dazugehörigen Geist seiner Führungskultur und steckt alle Kopftreffer weg. Der Holzhammer wirkt also nicht. Statt des gewaltsamen Wegs muss der sanfte beschritten werden, man muss dem Blatter den Rücktritt schmackhaft machen – und ihm die Schokoladenseite dieses Schritts vor Augen halten.

Gleich heute wollen wir damit beginnen, und zwar mit dem Wichtigsten vorweg: So ein Rücktritt tut nicht weh, keine Gicht, keine Kreuzschmerzen, keine Altmännerbeschwerden, nichts. Es geht alles ganz unbürokratisch, ein formloser Anruf bei den Jungs von „Blick“oder „Bild“ genügt, die Sache ist durch – und schon morgen könnte Blatter an einem Ort seiner Wahl unbeschwert sein neues Leben als Rentner beginnen und womöglich am Vierwaldstätter See mit Christian Wulff binokeln, am Müggelsee mit dem Freiherrn Guttenberg Boccia spielen, oder an der Copacabana mit João Havelange einfach faulenzen und die Kellnerinnen bestechen, damit die ihnen zum Kaffee auch noch die Glatze kraulen.

Der Teufel und das Weihwasser

Diese vergnüglichen Folgeerscheinungen eines Abgangs müssen Sepp Blatter nähergebracht und notfalls vertraglich verankert werden, damit er seinen Rücktritt nicht länger fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Es muss ihm glaubhaft vermittelt werden, dass ein sorgenloses Leben auf ihn wartet, mit Halligalli, betreutem Wohnen und Essen auf Rädern – und dass er nicht auf der Zürcher Bahnhofstraße sein „La Paloma“ singen und die Passanten um eine milde Spende in den Geigenkasten bitten muss, sondern dass ihn notfalls der Hilfsfonds des Fußball-Weltverbandes auffängt, wie schon beim Brasilianer Havelange, als beim Ehrenpräsidenten vor Jahren das Kleingeld ein bisschen knapp geworden war.

Kurzum: problemlos könnte Blatter weiter ein aktives Leben führen – und beispielsweise sogar als Laienprediger für eine ehrliche Welt auf Tournee gehen und einen Lichtbildervortrag vor der Fifa-Ethikkommission halten, damit sein alter Wunsch in Erfüllung geht und der Schmiergeldsumpf endlich ausgetrocknet wird.

Selbstverständlich muss aber der Versuch, dem Fifa-Chef diese Schwerelosigkeit des Rentnerlebens einzutrichtern, auch noch flankierend begleitet werden von der eindringlichen Warnung vor den Risiken und Nebenwirkungen eines zu späten Rücktritts. Da sind wir dann wieder, siehe oben, bei den vielen Schwergewichtsweltmeistern, die einen Kampf zu viel gemacht haben, hinterher nicht mehr wussten, wie sie heißen oder gar mit der Behauptung „Das ist mein Hündchen“ ihre Zahnbürste an einer Schnur hinter sich herzogen.

„So ein Rücktritt ist klasse“

Natürlich kann es sein, dass der Blatter Sepp sogar dann noch bockig fragt: Warum soll ich schon mit 76 zurücktreten, wenn Jopie Heesters noch mit 105 auf der Bühne stand? An dem Punkt sind dann die Männer seines Vertrauens gefordert. „Pass auf, Sepp“, könnte beispielsweise der treue Theo Zwanziger, der alte DFB-Chef, zu Blatter sagen und ihm behutsam die Geschichte erzählen, wie der alte Jopie in einem Fernsehinterview dann irgendwann zu Hitler befragt wurde und als Antwort gab: „Ein Kerl war er, ein guter Kerl.“

„Schau, Sepp, so ein Rücktritt ist klasse“, könnte Zwanziger an der Stelle sagen, „denn du musst dann nicht als 105-jähriger Fifa-Präsident immer noch Interviews geben, in denen du von den alten Zeiten faselst, als das Schmiergeld noch straffrei und steuerlich absetzbar war.“

Langer Rede kurzer Sinn: nicht zwingen darf man den Blatter. Gut zureden muss man ihm, ihn tätscheln, ihm das Leben nach dem Rücktritt in den schillerndsten Farben schildern und ihm möglichst noch die Bilder von Richard Nixon zeigen, wie der sich als mächtigster Mann der Welt einst verabschiedet hat, fröhlich winkend und heilfroh, dass ihm das Watergate-Wasser nicht mehr bis Unterkante Oberlippe stand – in dem Moment könnte das Wunder dann passieren, dass sich Sepp Blatter jäh erhebt und die Welt mit den dankbaren Worten grüßt: „Ich nehme Ihr verlockendes Angebot an und mache Platz für einen unerfahreneren und unfähigeren Nachfolger.“

Wer kein Blutvergießen will, muss Sepp Blatter jedenfalls davon überzeugen, dass ihn nach dem Rücktritt das Paradies auf Erden erwartet.