Früher war die Schalte noch technisch herausfordernd, manchmal scheiterte sie auch. Mit der Digitalisierung sind solche Überraschungen aus dem Medienalltag verschwunden. Oder doch etwa nicht?

Stuttgart - Neulich tauchte in meinem Twitter-Verlauf eine überraschende Störungsmeldung der BBC auf. Man kämpfe mit technischen Problemen, die Ingenieure seien am Beheben, man danke für die Geduld. Ich wurde von einem sentimentalen Gefühl durchströmt. Es war, als wäre etwas aus einer längst vergangenen Zeit wieder aufgetaucht, und mir wurde klar, dass ich schon lange keine richtige Störung mehr wahrgenommen hatte.

 

Ich meine RICHTIGE Störungen. Rätselhafte, irrlichternde, in den ersten Augenblicken unbegreifliche Zwischenzustände, die ein Medium in Mitleidenschaft ziehen. So war etwa die Fußball-WM 1986 in Mexiko-Stadt aus verschiedenen Gründen störungsbemerkenswert, zu denen der Sauerstoffmangel durch die Höhe ebenso zählte wie die Farben des Fernsehbilds, die immer wieder in psychedelische Bereiche kippten, wodurch die Spieler unter anderem über violette Rasenflächen rannten.

Ein Tweet macht Hoffnung

Während man im Radio das bisschen Rauschen und Gespratzel hinnehmen konnte, weil man zumeist trotzdem etwas hörte, lag das Epizentrum des Gestörtseins im Fernsehen. Es gab eigene Störungsdias, auf die jählings umgeschaltet werden musste, wenn sich das Bild wieder einmal verzog oder flatterte, um sich schließlich in ein katastrophisches Schwarz zu verlieren. Man spürte, dass da jemand in einem Regieraum saß, stets der unerwartet hereinbrechenden Gefahr einer Störung gewahr, der nun seine Hand auf den Auslöser des Störungsdias hatte fallen lassen, mit dem in der Art eines Feueralarms eine technische Eingreiftruppe gerufen wurde. Man hörte sie förmlich atmen, leise fluchen und schwere, hammerschlaglackierte Blechschränke öffnen, Porzellansicherungen schrauben, und so weiter.

Dieses Hintergrundgeschehen im Maschinenraum jenseits der flüchtigen Medienoberfläche konnte man damals bereits einüben, wenn von Störung noch keine Rede war, etwa bei Sendungen der Eurovision, einer 1954 gegründeten Tauscheinrichtung der European Broadcasting Union. Wurde mit dem Eurovision-Jingle eine Gemeinschaftssendung – etwa „Wünsch Dir was“ mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach – angekündigt, konnte man sich bereits moralisch auf die nachfolgende Schrifttafel „Wir schalten um“ einstellen, hinter der man sich, wie bei der Störung, Techniker vorzustellen hatte, die zwischen Geräteschränken einherschritten und Hebel, Filmspulen und Räderwerke in Gang setzten.

Mit dem technischen Fortschritt und beschleunigtem Schalten sind die elegischen Formen des Übergangs in den Medien nunmehr Folklore geworden. Über den letztlichen Verbleib der Fernsehstörung weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht Bescheid, da ich praktisch nur noch Internet gucke und also statt Störungen nur noch Fehlermeldungen zu Gesicht bekomme. Der BBC-Tweet gibt mir wieder Hoffnung, dass es die gute, alte Störung noch gibt.

Hier geht’s zum Blog von Peter Glaser // Bemerkenswertes aus der digitalen Weltwww.stuttgarter-zeitung.de/glaserei