Wer digitales Suchen gewohnt ist, dem kommt analoge Ding-Suche ungewohnt langsam vor. Man ist versucht, sogar den verlorenen Schlüsselbund über Google aufzuspüren. Echte Schlüsselfinder könnten erfolgversprechender sein.

Stuttgart - Alte Freunde zu Besuch. Einer ist gerade angekommen, setzt sich an den Tisch, auf dem schon der Frizzante bereit zum Anstoßen steht, und schlägt die Handflächen links und rechts gegen seine Jacke, um zu signalisieren: „Jetzt aber!“

 

Und vermisst ein Geräusch.

Er schlägt noch mal gegen die Jacke, diesmal gezielt auf die Taschen; gräbt dann in ihnen. Dann in der Innentasche.

„Ich glaub, ich hab meine Schlüssel verloren.“

Mehrstimmiges Bedauern. Aber auch Zweifel.

„Gib mir mal deine Jacke. Wenn ich darf, seh ich sie noch mal durch.“

Ich erwähne Löcher im Futter, durch die eingesteckte Dinge gern mal vermeintlich in die fünfte Dimension verschwinden. Aber auch nachgraben und akribisches Abtasten des Kleidungsstücks führt nicht zum Schlüsselbund.

Nun wird die Suche offiziell eingeleitet. Im Zeitalter von Google, wo sich die unglaublichsten Dinge mit ein paar Tastenanschlägen finden lassen und die Menschheit auf Ebay den Inhalt ihrer Keller und Dachböden ausbreitet, ist die Suche nach einem kleinen, analogen Gegenstand ein ungewöhnliches Spektakel.

„Wo bist du gewesen, seit du ihn das letzte Mal in der Hand hattest?“

„In einem Café.“ Einer weiß, dass das eine Filiale ist, Teil einer Kaffeehauskette. Müsste doch im Netz eine Telefonnummer zu finden sein. Sechs Leute am Tisch, und unversehens hat jeder ein Mobiltelefon oder ein Tablet in der Hand und es sieht aus wie bei einem neuartigen Kartenspiel, bei dem jeder nachdenklich in sein Blatt schaut, ehe er ausspielt. Es gibt keine Telefonnummer der Filiale.

„Am meisten liebe ich die Restaurant-Webseiten, auf denen man erst mal die Adresse suchen muss.“

„Vielleicht mal bei der Auskunft anrufen?“

„AUUUUSKUNFT?“ – das Wort wird mehrmals lang gezogen ausgesprochen und gewissermaßen betastet. Wie ein antiquierter Begriff, der außer Gebrauch gekommen ist. So wie man einst Leu sagte statt Löwe. Ob es überhaupt noch eine Telefonauskunft gebe, fragt einer. Der neben ihm singt ihm einen Werbejingle mit einer Auskunftsnummer vor, die sich ihm vor Jahren eingeprägt hat. Die Nummer mit dem Blubb.

Die Frau bei der Auskunft hört sich tatsächlich so an, als wäre sie froh, dass endlich mal wieder jemand anruft. Sie findet nicht die Nummer dieser, aber immerhin einer anderen Filiale in der Stadt. Dort windet man sich und behauptet, die Nummer der anderen Filiale nicht zu wissen. In Wahrheit wird es so sein, dass sie Order haben, die Nummern nicht rauszugeben. Ich erinnere mich, wie früher im Kaffeehaus ständig Leute ans Telefon gerufen wurden. Das soll wohl durch Undercovernummern verhindert werden.

Ich erzähle, wie ich mal vom Hauptbahnhof im Taxi nach Hause gefahren bin und dann, bereits im Rollstuhl, die Krücken im Taxi vergessen habe. Das Taxi hatte die Deutsche Bahn spendiert, da der Zug Verspätung gehabt hatte, also versuchte ich, am Hauptbahnhof anzurufen, um die Nummer der Taxizentrale zu bekommen. Die Antwort hallte mir wie die Schläge einer großen Glocke im Kopf: Der Hauptbahnhof ist telefonisch nicht erreichbar.

Der Schlüssellose rief seinen Quartiergeber an, einen Kumpel, und bat ihn, seine Hinterlassenschaft zu durchsuchen. Nichts. Jemand sagt, dass es einen Bluetooth-Dingfinder gebe, der allerdings genauso groß sei wie ein Schlüsseltäschchen.

„Ich werd morgen rumfahren und die Schlüssel selbst weiter suchen.“

Die Mobiltelefone und Tablets verschwinden, die Gläser mit dem Frizzante werden gehoben - „Schön, dass ihr da seid.“