Was tun mit den Entdeckungen im Datenstrom aus dem Netz? Peter Glaser entdeckt die kurze Form und die schnelle Entscheidung. „Handlungsgrundlage im Netz ist etwas, das ich das Elvis-Presley-Prinzip nenne: It’s now or never.“

Stuttgart - Aufstehen, Rechner aufklappen, frühstücken. Aus der Zeit, in der man noch viel telefoniert hat, habe ich die Angewohnheit beibehalten, nicht ans Telefon zu gehen, ehe ich nicht in Ruhe fertig gefrühstückt habe; das „Ping!“ der eintreffenden Mails nehme ich mit Gleichmut zur Kenntnis. Mein Online-Nachrichtenangebot ähnelt einer digitalen Version des Zeitungstischs, wie es ihn in einem guten Kaffeehaus gibt – überregionale Tages- und Wochenpresse, „Tagesschau-Online“, internationale Blätter. Fachpresse. Dann lasse ich die Müllsortierbänder der sozialen Medien anlaufen, Twitter, Facebook, Google+. Dann Neues aus etwa 600 Blogs, deren Qualität ich im Lauf der Jahre schätzen gelernt habe. Da ich nicht täglich 600 Blogs lesen kann, gibt es einen elastischen Wechsel zwischen mal hier und mal da.

 

Dass der Schriftsteller schon beim Frühstück an der Arbeit ist, zeigt, wie ambivalent ein freier Beruf ist. Einerseits ist es eine ganzheitliche Lebensweise. Man führt ein Dasein wie ein Landwirt, alles geschieht am selben Ort, wohnen, arbeiten, leben. Dass ich meinen Arbeitsplatz nicht durch Schnee und Regen hindurch ansteuern muss, führt im Gegenzug dazu, dass die Arbeit umstandslos beginnt. Sie besteht aus ständigen Mikro-Entscheidungen. Nach jedem Wort, jedem Klick öffnet sich ein Strauß neuer Wege. Was soll mit dem Text, den ich gerade gelesen habe, geschehen? An jemanden weiterleiten, von dem ich annehme, dass er ihn interessiert? Archivieren? Vertiefen? Handlungsgrundlage im Netz ist etwas, das ich das Elvis-Presley-Prinzip nenne: It’s now or never.

Atomisiertes Schreiben

Währenddessen verteile ich die ersten Netzfundstücke in mein Blog und auf Twitter & Co. und antworte auf Reaktionen. Das Schreiben verteilt sich in zunehmend atomisierten Formen, wie Sprühnebel. Ich benutze die kurzen Formen, allen voran Tweets mit ihren 140 Zeichen Limit als dichterisches Krafttraining. Das Bonmot, der Haiku, die lakonische Anmerkung – Sprachminiaturen kommen im Netz wieder ganz groß raus.

Ich könnte die Alltagsbeschreibung über den ganzen Tag fortführen, und es würde sich nichts Grundlegendes ändern. In der neuen digitalen Vielfalt an Möglichkeiten liegt zugleich auch das Problem, dass der Tag nur 24 Stunden hat und ich sehr gerne mehr von dem vielen Neuen lesen und sehen würde. Und dass die kulturellen Einheiten gezwungenermaßen mehr und kürzer werden. Das wiederum führt dazu, dass längere, umfangreichere Projekte auf merkwürdige Weise schwieriger werden. Aber so ist das nun mal, wenn man in interessanten Zeiten lebt.

Meine Frau und ich arbeiten im Team. Ich schaffe im Buchstabenbergwerk Sinn heran, sie hält mir die Buchhaltung vom Hals. Und Arbeitsbesprechungen enden meist mit einem guten Essen. Denn Dichten kann man nicht nur mit Worten, sondern auch mit Kartoffeln, Perlhuhn und Kräutern von der Fensterbank.