Wehret den Anfängen, warnt unsere Autorin Sibylle Krause-Burger: Die Freunde des Kopftuchs wollen jetzt die Gerichtssäle erobern.

Stuttgart - Stellen wir uns vor, es ist ein ganz normaler Morgen am Stuttgarter Landgericht. Auf der Agenda einer Schwurgerichtskammer steht der Totschlag einer jungen Türkin an ihrem extrem gewalttätigen Mann, mit dem sie einstmals zwangsweise verheiratet worden war. Sie hat ihn mit dem Küchenmesser abgestochen und den toten Körper auch noch um die Genitalien erleichtert. Kein ganz alltäglicher Fall, aber so ähnlich vor Jahr und Tag geschehen. Punkt neun Uhr betreten nun die fünf Richter in unserem Beispiel den Saal – drei hauptamtliche und zwei weibliche Schöffen. Die Richter tragen Roben, eine der beiden Frauen trägt ein Kopftuch.

 

Genau so hätte es die baden-württembergische Landesregierung jetzt gern, wie der Justizminister in der vergangenen Woche für einen Gesetzesentwurf ankündigte. Nicht den Richterinnen, Staatsanwältinnen, Rechtspflegerinnen und Rechtsreferendarinnen, wohl aber den Schöffinnen soll das Tragen eines Kopftuchs im Gerichtssaal erlaubt sein. Was aber würde eine solche ziemlich irrsinnige Regelung für das oben erwähnte Verfahren bedeuten? Dürfte die Täterin hoffen, dass die Glaubensgenossin bei der Urteilsfindung dafür eintritt, ihr einen Teil der Schuld zu erlassen? Oder würde sie, fromm wie sie anscheinend ist, eher das patriarchalische Prinzip ihrer Religion vertreten und keine mildernden Umstände gelten lassen?

Der Gerichtssaal wird Ort für eine Demonstratin des Glaubens

Müsste der Vorsitzende strenger führen als sonst, um seine Schäfchen beieinanderzuhalten? Wir wissen es nicht. Nur eines ist unübersehbar: Mit dem Kopftuch hielte ein Gesinnungssymbol Einzug in unseren Gerichtssälen. Es ist keinesfalls nur ein Stückchen Stoff, sondern das Aushängeschild einer männlich dominierten Welt, in der sich Frauen nicht frei entwickeln dürfen, mit 15 Jahren schon zwangsverheiratet werden und ihre Schönheit verbergen müssen; es ist ein Signal, das die Neutralität des Gerichts verletzt, die hier gefordert ist. Während die anderen Richter in ihrer Amtstracht oder im Straßenanzug, also unauffällig erscheinen, würde die Trägerin eines Kopftuchs den Gerichtssaal als Ort für eine Demonstration ihres Glaubens oder ihrer Weltsicht benutzen.

Und das gälte ebenso für den Fall, dass ein Schöffe sich ein großes Kreuz um den Hals hängt oder ein jüdischer Kollege die Kippa aufsetzt. Denn Schöffen sind zwar Laienrichter. Sie sitzen als Vertreter des Volkes in den Verhandlungen. Aber ihre Rolle ist es nicht, dort diese oder jene Gruppe zu vertreten. Vielmehr sollen sie im Namen des ganzen Volkes Recht sprechen. Sie haben ja auch bei der Urteilsfindung das volle Stimmrecht wie die Berufsrichter. Also muss Unabhängigkeit ihr Leitmotiv sein. Das Kopftuch aber signalisiert Zugehörigkeit.

Wir sind nicht Burka, sondern ein Rechtsstaat

Es erzählt Parteiisches, ganz gleichgültig, ob die Trägerin es aus religiösen Gründen umbindet, ob sie glaubt, ihrem Gott zu dienen, ob sie sich einem Mann und der Familientradition unterwirft oder ob sie einer Mode folgt. Es ist auch nicht von Belang, ob sie nur auf sich aufmerksam machen oder sich ihrer Identität versichern möchte. Sei es, wie es wolle. Wir sind nicht Burka – wie uns der Bundesinnenminister gerade lehrt –, wir sind ein Rechtsstaat.

Das ist bekannt, wird derzeit ja auch häufig öffentlich wiederholt, und trotzdem lassen die Kopftuch-Enthusiasten nicht locker. Zurzeit versuchen sie eben, das Tragen eines Kopftuchs bei weiblichen Prozessbeteiligten ganz allgemein durchzusetzen, also wieder einmal einen Anlauf zum Marsch durch die Institutionen zu nehmen.

Erst waren die Schulen an der Reihe. Da ist, nach langen Kämpfen, das Bundesverfassungsgericht im März 2015 in die Knie gegangen und hat ein pauschales Kopftuchverbot bei Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt – es sei denn, dass die Verhüllung Ärger macht. Jetzt gilt der Angriff den Gerichtssälen. In Bayern gab es schon ein Verfahren mit positivem Ausgang für die Kopftuch-Freunde. Die bayerische Staatsregierung legte Berufung ein. Und die Landesregierung von Baden-Württemberg kündigt nun schnell jenen Gesetzentwurf an, der immerhin den Schöffinnen erlauben soll, mit Kopftuch auf der Richterbank zu erscheinen. So lautet der Kompromiss, den die Hauptverantwortlichen – der Justizminister von der CDU und der grüne Ministerpräsident, zwei in diesem Fall allzu nette ältere Herren – für gut befinden.

Es geht um eine Attacke auf einen Grundpfeiler des Staates

Zu Unrecht. Denn dieser Beschluss dient nicht dem sachlichen Fortgang eines Verfahrens, allenfalls dem Fortbestand der gerade regierenden Koalition. Er beleidigt das Neutralitätsgebot selbst dann, wenn Kopftuch tragende Schöffinnen, so es sie gäbe, ganz unauffällig arbeiten würden. Nein, das Vorhaben ist ein Opfer, das man auf dem Altar der Grünen darbringt; es ist die Beruhigungspille für die Basis, die in einer kunterbunten Multikultigesellschaft das Heil und die Seele der Partei sucht, aber zum eigenen Schaden gerne übersieht, dass es in Deutschland noch ein paar andere Wertvorstellungen gibt. Nur so glaubt offenbar unser meistgeliebter Ministerpräsident, sich den Rücken freihalten zu können. Dabei wäre sein erprobter Widerstandsgeist gegenüber den parteieigenen Ideologen vonnöten gewesen. Schließlich geht es hier nicht um Peanuts, sondern um die Attacke auf einen Grundpfeiler unseres Staats. Vorschau In der nächsten Woche lesen Sie an dieser Stelleeine Kolumne von Götz Aly.