Deutschland wird von Seiten der Türkei beleidigt, dass es kracht. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Türkei nicht erwachsen geworden, meint unsere Kolumnistin.

Stuttgart - Immer drauf! Schlagt ruhig zu! Verleumdet uns! Zeigt Angela Merkel in SS-Montur und mit Hitler-Bärtchen auf den Titelseiten Eurer Boulevardblätter! Unterstellt der Kanzlerin Nazimethoden! Werft Berlin die Unterstützung des gescheiterten Putschversuchs am Bosporus vor! Zieht Deutschland in den Dreck, wo Ihr nur könnt! Schmäht uns! Beleidigt uns! Es prallt an uns ab. Wir nehmen es als Schauermärchen aus „Tausendundeiner Nacht“. Wir bleiben gelassen. Wir haben Übung darin, dieses „german bashing“, das Dreinschlagen auf unser Land und seine führenden Leute zu ertragen.

 

Recep Tayyip Erdogan und seine Vasallen sind ja auch nicht die Ersten, die sich darin gefallen, wenngleich deren Attacken, weil sie ihr Referendum gewinnen wollen und einen Feind brauchen, zurzeit an Einfallsreichtum alles übersteigen, was wir so gewohnt sind. Die Griechen, denen es ohne die Hilfe aus der Bundesrepublik sehr wahrscheinlich viel schlechter ginge, als es ihnen ohnehin geht, sind da schon mutig vorangeschritten und haben als erste Angela Merkel in Naziuniform auf ihren Zeitungsseiten herumgereicht. Ja, ja, ja, wir sind einfach die Bösen.

Einmal böse, immer böse

Einmal böse, immer böse. Und wir, das heißt unsere Großväter und Urgroßvätergenerationen waren tatsächlich sehr böse. Sie haben mit dem Holocaust den schlimmsten Zivilisationsbruch in der Geschichte zu verantworten, und das ausgerechnet hier bei uns mitten in Europa. Weil das so ist, unausrottbar, klebt es an diesem Land bis ins dritte und vierte Glied, wie es in der Bibel so wahr und so bezeichnend heißt, wahrscheinlich sogar noch sehr viel länger.

Doch Deutschland, das als Drittes Reich auch einmal ganz, ganz groß sein wollte, und zwar für die Kleinigkeit von nur tausend Jahren, ist an diesem grausam-grauenvollen Geschehen erwachsen geworden. Zumindest in ihrem offiziellen Gebaren – Unverbesserliche gibt es immer – hat sich die Bundesrepublik dieser Geschichte gestellt, hat nichts weggeleugnet, hat eine Erinnerungskultur geschaffen, hat die letzten siebzig Jahre Weltoffenheit, Toleranz und Hilfsbereitschaft gelebt. Und nun dies!

Völlig unglaubwürdiges Gebäffe

Nun diese albernen Vorwürfe, nun dieses völlig unglaubwürdige Gebäffe aus dem Hause Erdogan. Es bezieht sogar die armen Niederländer in die Nazivorwürfe mit ein und schickt ihnen auch noch die zum Schlachten oder für die Zucht gelieferten Holsteinschen Rindviecher über die Grenze zurück. So also sieht ein türkischer Sieg aus? Es ist die Kuhglocke, welche die Musik dazu macht, nicht der Gesang des Muezzin.

Kindischer geht es nicht. Man fragt sich, ob der bewunderte Sultan in seinem Tausend-Zimmer-Palast oder im Sandkasten regiert – überhaupt diese Empfindlichkeit. Und das will ein richtiges Mannsbild sein, ein ganzer Kerl? Er sieht zwar so aus, traut sich sogar Frauen vorzuschreiben, wie viele Kinder sie gebären sollen. Und doch ist er schwach, ob jeder Kleinigkeit persönlich beleidigt und eingeschnappt: wegen Herrn Böhmermann in einer Nachtsendung des ZDF oder wegen einer Abstimmung im Bundestag über ein Ereignis, das hundert Jahre zurückliegt, oder auch weil türkische Minister in Deutschland keinen Wahlkampf machen sollen, was ihnen nicht nur mancher deutsche Politiker, sondern auch die eigenen Gesetze untersagen.

In jeder Talkshow ein Opfer

Ausgerechnet für diesen Weichling schwenken jetzt sogar etliche seiner Landsleute, die hier – mit und ohne Doppelpass – fröhlich in unserer Gesellschaft leben, die roten Fahnen. Sie halten ihn für stark und begeistern sich für ein Ja im anstehenden Referendum, das dem Präsidenten die Macht bestätigen soll, die er längst hat. Die Folgen tragen die Daheimgebliebenen. Sich selbst zu Hause in der Türkei unter die diktatorische Herrschaft zu begeben – das wollen diese Jubelierer offenbar nicht. Da ist es schon besser, hier in Deutschland zu bleiben, frei zu leben und dabei über angebliche oder tatsächliche Diskriminierungen zu klagen.

In jeder Talkshow ein Opfer, lauter Beleidigte, auch wenn sie längst bestens integriert sind. Kommt in meine Arme, sagt Papa Erdogan, ihr seid alle meine Kinder. Und selig sinken sie dahin.

Anderen gegenüber sind der Patriarch und die Seinen freilich weniger zimperlich, siehe oben. Da hat Tayyip der Empfindsame schon Glück, dass er nicht in Angela Merkels Haut steckt. Unter den zahllosen und ehrenrührigen Beleidigungen, an denen sie zu tragen hat – von Seehofer, über die Griechen bis Trump –, wäre der türkische Präsident längst ohnmächtig zusammengebrochen. Diese Frau zeigt ihm, was ein Mann ist. Darin ist sie wirklich groß, bei allen Fehlern, die sie schon gemacht hat. Den Schmäh trägt sie allemal mit Fassung.

Aber den Nazivorwurf braucht sie sich wirklich nicht bieten lassen. Jetzt reicht’s. Da muss das erwachsene Deutschland nun doch einmal entschieden dagegenhalten, mit Worten und Taten, cool und mit Niveau. Es muss dem eingebildeten Sultan zeigen, dass er nicht minder abhängig ist von uns als wir von ihm – selbst auf die Gefahr hin, dass man am Ende auch uns ein paar Kühe über die Grenze treibt.