Die Fußtritte gegen die FDP sind so wenig gerechtfertigt wie der Jubel über die Piraten, meint die Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Jeden Abend, mit dem Beginn der Nachrichtenzeit im deutschen Fernsehen, setzt es Hiebe für die FDP: schauerliche Zahlen beim Politbarometer, dramatische Verluste bei Wahlen, die Fünfprozenthürde unüberwindbar. Herr Koll serviert ein müdes Lächeln dazu, Frau Slomka zieht verächtlich die Mundwinkel herab. Da mag sich Philipp Rösler noch so bambusartig im politischen Gegenwind biegen oder mutterseelenalleine aufrecht bleiben – es hilft nichts. Er und die Seinen scheinen verloren. Ihr Untergang lässt sich schon deshalb schwerlich aufhalten, weil er täglich – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – millionenfach in den Medien vorausgesagt wird. Die FDP ist out.

 

Die Piraten aber sind in. Jeden Abend, im fortscheitenden Ablauf der Programme und Meldungen hagelt es Streicheleinheiten für ihre Partei. Die guten Zahlen bei den Umfragen erzeugen neue gute Zahlen. Die neuen Zahlen ziehen die Bilder und Filmchen von Siegesfeiern nach sich, mit viel jubelnder Jugend und unbändigem Triumphgeschrei. Marina Weisband darf im Reigen der Talkshows parlieren. Die Piraten sind Kult.

Dabei ist doch das eine wie das andere Phänomen wenig plausibel. Natürlich haben die Liberalen Fehler gemacht. Die Steuersenkungsleier etwa nervte schon gewaltig. Und der Nachlass für das Beherbergungs- und Gaststättengewerbe hat uns erbost. Auch schickten wir schon eindrucksvollere Außenminister als Guido Westerwelle in die Welt. Aber erklärt das den Absturz von 14,6 Prozent bei der letzten Bundestagswahl auf den aktuellen Tiefstand? Und ist es wirklich angebracht, die ganze Häme, zu der Politik und Medien fähig sind, über einer traditionsreichen Freiheits- und Bürgerrechtspartei auszugießen, aus deren Reihe so bedeutende und die Geschicke der Republik mitgestaltende Demokraten wie Theodor Heuss, Thomas Dehler oder Hans Dietrich Genscher hervorgegangen sind? Von dem, was in der Geschichte zuvor geschah, gar nicht zu reden.

Im Nachtreten verdichtet sich die Verachtung der Parteien

Doch das alles zählt ebenso wenig wie das geistige und politische Nirwana, das uns aus den Reihen der Piraten anweht. Kein Programm, kein origineller Gedanke, keinerlei Erfahrung, keine Persönlichkeiten, aber Freibier für alle und erwünschtes Raubrecht am geistigen Eigentum anderer. Wie einst die Grünen wollen sie auch die Demokratie neu erfinden. Trotzdem nicht einmal eine Spur von Innenpolitik, von Außenpolitik, von Sozialpolitik, von Bildungspolitik, von Finanzpolitik. Nur ein Heissa-wir-sind-da, und Bei-uns-ist-alles-ganz-anders.

Wenn das nicht ein Stück vom politischen Irrsinn ist! Und doch spiegeln die beiden Erscheinungen, das Niedermachen der FDP wie das Hochjubeln der Piraten, auch unsere seltsame Zeit. Im Schmähen und im Nachtreten, die den Absturz der Liberalen begleiten, verdichtet sich die verbreitete Verachtung gegenüber der herrschenden politischen Parteienwirklichkeit. Die FDP ist der Sündenbock. Sie leidet für alle. Und in der gedankenlosen Freude über die Piraten offenbart sich, was für eine verspielt-egoistische Generation da herangewachsen und auf der Bühne angekommen ist.

Im Vergleich zu denen, welche die Bundesrepublik gestaltet und ausgepolstert haben, bringen sie nur Ansprüche mit, aber keine Biografie. Sie halten eine Maschine, eine Lebenshilfe für den Lebenszweck. Ein Hobby genügt ihnen als politisches Programm. Mit dem Mausklick treten sie gegen die etablierte Macht an. Ihre Leere ist die Antwort auf die Komplexität von Gesellschaft und Politik. Und was sie Schwarmintelligenz nennen, erweist sich schnell als politische Ahnungslosigkeit. Aber seltsam: gerade die tragen sie erfolgreich zur Schau.

Wirklichkeit ist besser als das virtuelle Raubrittertum

Das verstehe, wer will, erst recht, wenn man auf das schaut, was sie infrage stellen. Da sind Freiheit und Wohlstand in über sechzig Jahren Bundesrepublik, gerahmt und gesichert durch die weltweit geachteten Institutionen des Bonner Grundgesetzes und belebt durch Politiker und Parteien, die man zu Unrecht pauschal diffamiert. Da sind auch, gleichsam als Blutauffrischung, die Neuen aus dem Osten – Angela Merkel und Joachim Gauck – die wissen, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Da sind Menschen, getrieben von einer politischen Leidenschaft, die nicht nur egoistisch für sich, sondern auch für andere ein gutes Leben im Sinn haben.

So sieht die deutsche Wirklichkeit aus – noch. Sie ist zwar keineswegs vollkommen, aber tausendmal besser als das virtuelle Raubrittertum der Piraten ist sie gewiss. Mir schlottern die Knie beim Gedanken, es könnten noch mehr Wähler deren beschränkten Horizont für einen demokratischen Fortschritt halten.