Die Internationale Bauausstellung ist eine Chance für Stadt und Region. Doch funktionieren kann sie nur, wenn Klartext gesprochen wird, meint StZ-Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Auf dem Markt der Erwachsenenbildung ist in dieser Woche ein neuer Bestseller erschienen. „Memorandum IBA 2027 StadtRegion Stuttgart“ heißt das Werk, in welchem wir einige neue Wörter entdecken, die uns helfen werden, die Kleinkrämerei in der württembergischen Zentralregion zu überwinden. Stattdessen können wir die Zukunft endlich groß denken. Alsdann, die erste Vokabel. Sie lautet: „Querschnittsqualitäten“. Darin sind, sozusagen als erste Ableitung, vier Eigenschaften enthalten, die aufzeigen, wie wir künftig leben wollen: „mobil, nachhaltig, solidarisch und partizipativ“.

 

Wer wissen will, wie das konkret geht, dem sei verraten, dass die Autoren des erwähnten Memorandums unter der partizipativen Region ganz einfach den „Ausbau der regionalen Governance“ verstehen. Die Solidarität wiederum speist sich aus der „Integration und Inklusion in einer Zuwanderungsregion“, während die Nachhaltigkeit unter anderem aus „Ressourceneffizienz“, einer „resilenten Region“ und „Cradle to Cradle“ besteht. Die Mobilität schließlich befasst sich mit der „Intermodalität im postfossilen Zeitalter“.

Das Wortgeklingel bewirkt das Gegenteil des Erhofften

Wer bis hierher durchgehalten hat, bekommt einen Ehrenplatz im „IBA 2027 StadtRegion Stuttgart Plattformprozess“.

Ob die Verantwortlichen beim Verband Region Stuttgart und der angeschlossenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft auch schon ahnen, dass derartiges Wortgeklingel kaum dazu angetan ist, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen (wie das so schön auf Neudeutsch heißt), ist zwar nicht bekannt. Immerhin haben sie unter dem Kapitel „Weiteres Vorgehen“ aber bemerkt, dass die „IBA 2027 StadtRegion Stuttgart nach innen und nach außen professionell kommuniziert werden“ müsse. Das ist ja schon mal ein Ansatz.

Denn es wäre in der Tat schade, wenn dieses Projekt auf dem Schrottplatz der Sprache landete. Die Idee der Internationalen Bauausstellung enthält ja nichts weniger als den Wunsch, in Stuttgart und drumherum neue Formen des Bauens zu erfinden und auszuprobieren. Das Herzstück aller Überlegungen kann und muss die Neugestaltung des Rosensteinviertels sein. Ermöglicht durch die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs ergibt sich mitten in der Stadt eine Situation, die sogar der einstige S-21-Gegner Fritz Kuhn inzwischen als das „Öffnen eines historischen Fensters“ bezeichnet. Diese Erkenntnis ermöglicht endlich eine freie Diskussion über – Achtung, schon wieder ein großer Begriff – die Stadt der Zukunft.

Große Würfe erzeugen meist Streit im Vorfeld

Wer aber glaubt, dass diese Debatte unter der Verwendung vieler Fremdwörter schiedlich, friedlich vonstatten gehen kann und am Ende alle zufrieden sind, wird sich täuschen. Allein der Blick auf die Geschichte der Weißenhofsiedlung, auf die sich die aktuellen IBA-Macher immer wieder beziehen, offenbart, wie viel Streit in den Zwanzigerjahren geherrscht hat, ehe die Häuser von Le Corbusier, Gropius oder Scharoun gebaut wurden. Führende Architekten der Zeit wie Paul Bonatz und Ludwig Mies van der Rohe haben sich ob der Auseinandersetzung vollkommen entzweit.

Dass die Siedlung dennoch entstehen konnte, ist auch das Verdienst einiger standfester Stuttgarter Kommunalpolitiker. Sie haben am 29. Juli 1926 gegen die Stimmen der Deutschnationalen und der Kommunisten beschlossen, den Deutschen Werkbund mit dem Ausstellungsprojekt „Am Weißenhof“ zu beauftragen. Danach haben sie die radikalen Ideen der Architekten gegen alle Widerstände mitgetragen.

So viel Mut wünscht man jetzt auch den politischen Erben – inklusive einer klaren Sprache, die ohne Flucht in unverständlichen Firlefanz auskommt.