Die Autoindustrie in Deutschland ist in Gefahr, glaubt StZ-Wirtschaftsautor Michael Heller. Denn sie hat ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Stuttgart - Ausgerechnet jetzt! In wenigen Tagen will die Autobranche die Bundesregierung davon überzeugen, dass sie in der Lage ist, das Dieselproblem zu lösen, und dass der Selbstzünder damit wieder eine Zukunft hat. Und was tut das Führungspersonal? Die Beteiligten fallen übereinander her. Da geht der Dissens wegen der Audi-Motoren quer durch den VW-Konzern, da treffen sich die Kooperationspartner BMW und Daimler demnächst womöglich vor dem Scheidungsrichter, und der Branchenverband VDA denkt vor allem an die eigene Reputation, gedrängt freilich auch vom Rest der Branche, jenseits der Riesen Daimler, BMW und VW.

 

Wem die Macht der Autohersteller und ihres Spitzenverbands schon immer ein Dorn im Auge war, wird seine Schadenfreude kaum verbergen können. Wie auch: Die PS-Branche hat ihre Interessen noch stets durchdrücken können, sei es in Berlin oder in Brüssel. Zu gewichtig ist die Branche, die sich mit der Argument ihres hohen Stellenwerts („made in Germany“) und vieler Jobs stets gegen – womöglich nur gefühlte – Zumutungen zur Wehr setzen konnte. Nichts von alldem hat sich in den zurückliegenden Wochen und Monaten geändert.

Der Dieselskandal hat sich ausgebreitet wie ein Ölfleck

Was sich aber geändert hat, ist das Ansehen dieser Vorzeigebranche. Der VW-Dieselskandal, der seinen Ausgang in den fernen USA nahm, hat sich ausgebreitet wie ein Ölfleck. Seitdem gelten deutsche Autos nicht mehr als Inbegriff der Ingenieurkunst. Im Notfall, so lautet der Subtext, hilft nicht wie einst die geniale Idee, sondern ein schmutziger oder sogar illegaler Trick. Verstärkt hat sich der böse Verdacht nun innerhalb der vergangenen Woche. Seitdem kursiert die Geschichte eines Komplotts, veröffentlicht vom Magazin „Spiegel“. Es geht um den Verdacht verbotener Absprachen – unterfüttert mit eher dünnen Fakten und teilweise unplausiblen Vermutungen –, mit denen sich eine ganze Branche verschworen haben soll gegen die Menschen ganz allgemein (vergiftet), gegen die Autokäufer im Besonderen (geprellt) und gegen die Politik (missbraucht).

Auf einmal findet sich niemand mehr, der sich vor diese Industrie stellt – rückhaltlose und schnelle Aufklärung zu fordern ist heute das Mindeste. Eine ganze Branche wird an den Rand der Legalität geredet, fast so, wie es die Tabakbranche seit Langem kennt. Dass die Konzerne durch eigenes Verschulden in diese Lage geraten sind, steht außer Frage. Gleichwohl wird es Zeit nachzudenken: Wollen wir eine große, eigene Industrie behalten, oder begnügen wir uns damit, eines Tages im Wesentlichen Elektroautos aus China zu importieren, so wie jetzt schon Solarpaneele?

Ein Software-Update reicht nicht

Eines Tages mag zur Freude Chinas, das keine Aktien im konventionellen Antrieb hat, an der Elektromobilität wirklich kein Weg vorbeiführen. Stand jetzt ist es aber eine Tatsache, dass E-Autos nicht umweltfreundlicher sind als Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotor – weil der Strom, mit dem die Batterien geladen werden, zumindest gegenwärtig ebenfalls umweltschädlich produziert wird. Dass die Verschmutzung dann nicht mehr da auftritt, wo das Problem zurzeit am größten ist – in den Städten –, ist nur ein schwacher Trost.

Die Autoindustrie muss endlich aus der Defensive rauskommen und wieder Glaubwürdigkeit gewinnen. Dann wird der Tag, an dem das letzte Auto mit Sprit im Tank gebaut wird, noch sehr weit in der Zukunft liegen – auch wenn das viele Leute, die von einer irrationalen Untergangssehnsucht beseelt sind, bedauern werden. Das hätte den immensen Vorteil, dass eine über Jahrzehnte aufgebaute industrielle Infrastruktur nicht sinnlos zerstört würde. Glaubwürdigkeit kann die Industrie aber nur gewinnen, wenn sie sich in großen Schritten auf diejenigen zubewegt, die sie zuletzt enttäuscht hat. Zum Beispiel durch ein umfassendes Nachrüstungsangebot jenseits von Software-Updates beim Dieselgipfel.