Die Ausstellung des chinesischen Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei erregt weltweit Aufmerksamkeit. Zu Recht, befindet der StZ-Kulturchef Tim Schleider. Sie steht sinnbildlich für den Kampf für Freiheit.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Wahrscheinlich fragen sich in diesen Tagen viele Menschen: Was ist bloß dran an diesem Ai Weiwei? Warum redet plötzlich jeder von dieser Ausstellung im Berliner Gropius-Bau, der, so die Werbung, „weltweit bisher größten Einzelausstellung des chinesischen Künstlers und Regimekritikers“? Ist all dies nicht wieder nur das übliche Kultur-PR-Trara, mit der Randerscheinungen zum Event aufgeplustert werden sollen?

 

Nun, die erste Antwort auf diese Fragen lautet: die große Aufmerksamkeit für die Ai-Weiwei-Ausstellung in Berlin lohnt, weil Ai Weiwei interessante Kunst macht. Mit seinen Werken und Aktionen erzählt er Geschichten und stellt Fragen, die uns treffen und bewegen können. „Fairytale“, also „Märchen“, nannte er eine Aktion auf der Documenta 2007, als er im Laufe des Sommers 1001 Chinesen nach Kassel reisen ließ – ein Bild für den Wunsch vieler seiner jungen Landsleute, frei zu sein von alten Grenzen, anzukommen in einer Welt des Austausches neuer, kreativer Ideen. War das Kunst? Der Künstler selbst sprach von „sozialer Skulptur“. Jedenfalls war es eine schöne Geschichte. Man trägt sie mit sich.

Ai Weiwei wurde zum politisch Geächteten

Ai Weiweis eigene Geschichte verlief dann weniger schön. Sein Beharren darauf, mit den Mitteln der Kunst auch von den schlimmen Dingen in seiner Heimat zu erzählen, machte ihn zum politisch Geächteten. Weil er nicht müde wurde, Unterdrückung, Korruption und Umweltzerstörung in der politischen Praxis der chinesischen Staatsführung anzuprangern, wurde er erst gegängelt und überwacht, dann fast zu Tode geprügelt, inhaftiert, in der Öffentlichkeit verleumdet, mit obskuren Anklagen und mit Gerichtsverfahren überzogen, zu denen er selbst keinen Zutritt bekam.

Und just hier steckt die zweite Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob all das Interesse an diesem Künstler wirklich lohnt: Ja, das tut es, weil Ai Weiwei beispielhaft steht für all jene Künstler und Intellektuellen, die in Ländern ohne Kunst- und Meinungsfreiheit nicht müde werden, mit Bildern und Geschichten, mit Worten oder Thesen ihr Manifest gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu setzen. Sie werden so zur Hoffnung und zu Wortführern auch für jene, die unter den gleichen Bedingungen leben müssen und denen diese künstlerischen Mittel nicht gegeben sind. Solcher Kunst ein großes, international ausstrahlendes Forum zu geben, das ist eine der Aufgaben deutscher Kulturpolitik. Sie erwächst aus unserem Privileg, in einer Gesellschaft zu leben, in der Kunst, Wissenschaft und Debatte frei sind.

Unversöhnliches Nebeneinander der Ereignisse

Die Ai-Weiwei-Ausstellung in Berlin ist auch deswegen ein Kulturereignis von hohem Rang, weil sie scharf und klar einen Konflikt markiert. Erst vor wenigen Tagen war der chinesische Staatspräsident in Deutschland zu Besuch und wurde als Führer einer aufstrebenden Nation freundlich begrüßt und umworben. So verlangt es eine an politischen und wirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten orientierte Politik, Ai Weiwei und allen anderen Kritikern der Unterdrückung in China zum Trotz. Dieses an sich unversöhnliche Nebeneinander der Ereignisse kann man mit einigem Recht als inkonsequent, wenn nicht gar verlogen betrachten. Man kann es aber auch als ein Programm sehen.

Das wäre dann die dritte Antwort, im Kern für uns in Deutschland vielleicht die wichtigste: Wir brauchen die Geschichten der Künstler aus China oder aus Russland, aus der Türkei, dem Iran oder woher auch immer, um im Geflecht unserer globalen Realpolitik mit all ihren Sachzwängen und mutmaßlichen Alternativlosigkeiten den Sinn für die höheren Werte der Menschlichkeit, des Miteinanders und der Freiheit nicht zu verlieren. Kein Zweifel, große Worte. Aber just darum sind Kunst und Kultur ja auch wichtig: Hier werden sie verhandelt. Hier wird ihnen ein Gesicht gegeben. Eines davon ist dieses: Ai Weiwei.