Das Jahr 2014 wird das Jahr Brasiliens sein, vermutet der StZ-Korrespondent Wolfgang Kunath. Denn die Fußball-WM ist für das Land nicht nur ein großes Sportfest, sondern der Beleg für den Aufstieg des Landes.

Rio de Janeiro - Als Marke ist Brasilien kaum zu schlagen. Leichtigkeit und Lebenslust, dazu Musik und tropische Wärme: wenn auf Brasilien die Rede kommt, sehen die meisten Europäer solche Sehnsuchtsfelder besetzt. Dass Negatives – von der Urwald-Abholzung über die Favelas bis zur Mordrate – dabei verdrängt wird, gehört zur Logik solcher Idealisierung. Aber so oberflächlich das Bild auch sein mag, es ist ein traumhafter Hintergrund für die Fußball-Weltmeisterschaft. Für ein so fußballverrücktes Land wie Brasilien ist es wunderbar, Gastgeber des Milliardenspiels der Fifa sein zu dürfen. Aber der Volksseele bedeutet die „Copa“ viel mehr: Sie ist der Beleg für die Stabilität und den Aufstieg, den das größte Land Lateinamerikas erfahren hat – ein Fest der nationalen Selbstbestätigung. Für die Nation ebenso wie für die Welt wird 2014 das Jahr Brasiliens sein.

 

Es ist auch ein bewunderungswürdiger Weg, den Brasilien zurückgelegt hat. Die Militärdiktatur wurde durch eine sicher nicht perfekte, aber doch leidlich laufende Demokratie ersetzt. Die sechs Prozent Inflation, über die Ökonomen heute die Stirn runzeln, wären vor zwanzig Jahren paradiesisch erschienen. Dass die periodischen Trockenzeiten den Nordosten eines Tages nicht mehr mit Not und Tod überziehen würden, dass Millionen von Brasilianern aus der Armut in einen bescheidenen Mittelstand aufsteigen, dass das ewige „Land der Zukunft“ zur siebtgrößten Wirtschaftsnation der Gegenwart anwächst – wer hätte das zu Beginn des Jahrtausends gedacht?

Die Proteste dürften sich 2014 wiederholen

Allerdings hätte noch zu Beginn des Sommers auch niemand gedacht, wie riesig die Wut unter denen ist, die, bei allem Fortschritt, zu kurz gekommen sind. Im Juni gingen, völlig unerwartet, Millionen auf die Straße. Angesichts der Unbekümmertheit, mit der das Land die Milliarden für seine Luxusstadien verpulverte, erschienen überfüllte Hospitäler, teure Stadtbusse und miserable Schulen geradezu obszön. Plötzlich wurde die Frage aufgeworfen, die in der globalen Spiel- und Spaßgesellschaft streng verboten ist: Muss das wirklich sein? Gibt es nichts Wichtigeres? Dass sich die Proteste 2014 wiederholen, ist sehr wahrscheinlich, denn verbessert hat sich nichts.

Mit den wahren Schattenseiten des Mega-Events müssen sich die Brasilianer aber erst herumschlagen, wenn der Spaß vorbei ist. Vier der zwölf piekfeinen Stadien werden ziemlich selten bespielt werden, die Unterhaltskosten für die Millionengräber laufen aber weiter. Die größte Sünde am Steuerzahler sind die gebrochenen Versprechen. Die WM werde privat finanziert, hieß es 2007 – das stellte sich als Lüge heraus. Die Politiker haben die horrenden Kosten – allein die Stadien schlagen mit mehr als 2,5 Milliarden Euro zu Buche – stets mit dem Argument verkauft, dass quasi nebenbei die Städte und ihr Verkehr modernisiert werden. Diese Projekte wurden aber fast alle auf die lange Bank geschoben.

Die Fußball-Touristen wollen ihren Spaß haben

Brasilien werde die „Copa der Copas“ veranstalten, also die Weltmeisterschaft der Superlative, hat Präsidentin Dilma Rousseff vollmundig versprochen. Natürlich wird es zu Pannen kommen, sicher werden die Fußballtouristen über hohe Preise, überfüllte Flughäfen, Unpünktlichkeit und Schlamperei klagen. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Vielleicht finden es die Betroffenen ganz sympathisch, dass die Regelungswut der Fifa eben doch nicht ganz Brasilien erfasst. Im Übrigen interessieren sich Fußballtouristen nur begrenzt für die Befindlichkeiten ihres Gastgebers. Sie wollen ihren Spaß, und den werden sie auch haben: Die Stadien sind fertig, statt der fehlenden Massenverkehrssysteme werden Busflotten eingesetzt, die staufrei fahren, weil die Spiel- zu Feiertagen erklärt werden.

Wird das wirklich die Copa der Copas? Für die Brasilianer nur dann, wenn sie zum sechsten Mal Weltmeister werden. Dann ist alles andere vergessen.