In der Diskussion über zu hohe Stickoxid-Emissionen der Dieselfahrzeuge setzen die Hersteller – Daimler allen voran – auf Nachrüstung. Das ist billig, aber es reicht nicht, kommentiert der StZ-Autor Michael Heller.

Stuttgart - Dass der Fortschritt eine Schnecke ist, wissen wir spätestens seit es „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“ von Günter Grass gibt. Dass sich auch die Automobilindustrie in zumindest einer Hinsicht ein Beispiel daran nimmt, dürfte hingegen weniger bekannt sein.

 

Denn die Vorzeigeunternehmen der Branche – von Daimler über Bosch bis zu Porsche – sind der Beleg dafür, dass der deutsche Ingenieurgeist immer wieder zu Innovationen fähig ist, die Maßstäbe setzen und weltweit bewundert werden. Und einem Bundesland wie Baden-Württemberg verschaffen sie eine ebenfalls weltweit beneidete Prosperität. Trotzdem passt das Bild von der Schnecke. Denn die deutsche Automobilindustrie hat Probleme mit Normen und Standards, die sie sich nicht selbst setzt; da, wo sie sich selbst anpassen muss. Sie tut es zwar, aber im Schneckentempo.

Die viel zu hohe Belastung mit Stickoxiden und Feinstaub ist vor allem im Stuttgarter Talkessel ein Problem. Die zehn wichtigsten Fakten dazu sehen Sie im Video:

Das hat durchaus Tradition. Es ist den Autobauern in der Vergangenheit stets gelungen, die heimische Politik für sich einzunehmen, wenn es galt, auf Abstand zu gehen zu Innovationen wie dem Katalysator und dem Dieselpartikelfilter. Und bei der Verschärfung der Abgasgrenzwerte in der EU war es dasselbe.

Die Politik hat sich mit dem Argument als verlässlich erpressbar erwiesen, es stünden Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel, wenn die Branche gezwungen sei, sich auf die neuen Regeln einzulassen. Und welcher Politiker, der nicht sämtliche Chancen auf eine Wiederwahl verspielen will, mag für den Verlust von so vielen Jobs verantwortlich sein?

Zwischen Gut und Böse ist nur schwer zu trennen

So ist eine Gemengelage entstanden, in der zwischen Gut und Böse nur schwer zu trennen ist. Eines ist aber klar: Dass es einen himmelweiten Unterschied zwischen den mit allerlei Tricks ermittelten Emissionen auf dem Prüfstand und den auf der Straße gemessenen Werten gibt – grob geschätzt etwa 30 Prozent –, wissen alle Beteiligten, und das seit Jahren. Der Fall Volkswagen hat nun abrupt diesem Selbstbetrug ein Ende bereitet – auch wenn das mancher Autohersteller für unfair halten mag. Denn kriminell geworden ist nach dem bisherigen Kenntnisstand nur Volkswagen in den USA.

Die Anpassung an die Realität vollzieht sich aber auch jetzt wieder im Schneckentempo. Die Autoindustrie spielt auf Zeit, bietet Zugeständnisse an und hofft, mit lediglich ein paar Kratzern an der Karosserie ins Ziel zu kommen. Software-Updates sind offenbar das neue Wundermittel der Fahrzeugbauer: Alle setzen darauf und lassen die Kunden mit den Folgen – möglicher Leistungsabfall, steigender Spritverbrauch – alleine. Wunder wirken diese neuen Programme vor allem in den Bilanzen der Konzerne: Sie kosten kaum etwas.

Hersteller und Politik sollen die Suppe auslöffeln

Aber selbst wenn die Updates funktionieren würden, wäre ihre Wirkung beschränkt. Euro-5-Motoren erreichen auf diese Weise nicht die Euro-6-Grenzwerte. Es kann aber nicht sein, dass ein Autokäufer mit einer erst vor wenigen Jahren gekauften Limousine nicht mehr in die Innenstadt darf, weil da nur Euro-6-Fahrzeuge freie Fahrt haben. Die Aufrüstung der Motoren mit Systemen zur Abgasnachbehandlung ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand möglich, wenn auch teuer, in der Größenordnung von 2000 Euro. Da die Hersteller und die Politik den Autokäufern die Suppe gemeinsam eingebrockt haben, sollten sie sie auch gemeinsam auslöffeln. Will sagen: Industrie und Staat haben gemeinsam die Kosten zu übernehmen.

Wer sich hierauf nicht einlassen mag, setzt wirklich die Existenz eines wichtigen Teils der Autobranche aufs Spiel: den Dieselantrieb. Ohne Lösung des NOx-Problems wird der Selbstzünder gewiss keine Zukunft haben. Schuld daran wären dann nicht übermäßig ehrgeizige Umweltpolitiker, sondern wäre die Branche selbst, die den richtigen Zeitpunkt für die Umkehr verpasst hätte. So weit muss es aber nicht kommen. Noch ist Zeit, sich zu besinnen.