Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt werden die Grünen im Wahlkampf 2013 anführen. Die grüne Basis will die Partei offensichtlich in der bürgerlichen Mitte sehen, meint Christoph Link.

Stuttgart - Diese Urwahl ist ein Paukenschlag für die Grünen und vermutlich auch eine Zäsur in ihrer Parteigeschichte. Mit einem überraschenden Votum hat die Basis in einer direkten Abstimmung personelle Weichen gestellt, die die auf Umweltthemen spezialisierte Partei auf einen neuen Kurs schwenken lässt. Einerseits ist die hohe Zustimmungsrate für Jürgen Trittin, dem schon in früheren Umfragen die größte Durchsetzungskraft bei den Grünen zugetraut wurde, erstaunlich. Zum anderen hat es Katrin Göring-Eckardt, deren überraschende Kandidatur gegen ihre Freundin Renate Künast ihr einige verübelten, mit einem starken Ergebnis auf Platz zwei geschafft. Das Gespann Trittin (58) und Göring-Eckardt (46) wird die Grünen also in den Wahlkampf führen, ein charmantes Duo.

 

Instinktiv hat die grüne Basis wohl geahnt, dass man mit politischem Rabaukentum und im Strickpulli keine Wahlen mehr gewinnt. Seit dem Einzug von Winfried Kretschmann in die Villa Reitzenstein in Stuttgart, einem zutiefst bürgerlichen Vertreter der Partei, der seine Anliegen dennoch beharrlich verfolgt, hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. Das neue Spitzenduo ist nach dem Links-Rechts-Schema gestrickt, das die Grünen für ihren inneren Frieden stets so wichtig nehmen wie die ARD den Länderproporz. Trittin gilt als dem linken Flügel zugehörig, Göring-Eckardt als Realo. Dabei arbeitet Trittin seit geraumer Zeit am Image des sachlichen, staatsmännischen Politikers, der Nadelstreifen anzieht, sich in die Finanz- und Europapolitik eingearbeitet hat und die Ökonomie mit der Ökologie versöhnen will. Er würde gerne Bundesfinanzminister unter Rot-Grün, heißt es in der Partei. Dass die Grünen-Mitglieder die vergleichsweise stille und unscheinbare Bundestagsvizepräsidentin und Kirchenfunktionärin Göring-Eckardt aufs Schild gehoben haben, ist ein weiterer Beleg dafür, das sie Ruhe – hoffentlich nicht Langeweile – an der Führungsfront wollen. Die Grünen seien eine Dafür-Partei, hat Göring-Eckardt auf einem Urwahlforum gesagt. In der Tat, das werden sie jetzt. Rebellion, das war einmal.

Ein niederschmetterndes Ergebnis für Claudia Roth

So achtbar das Ergebnis für die drittplatzierte Kandidatin Renate Künast ist, die seit der Berlin-Wahl angeschlagen war, so niederschmetternd ist das schlechte Abschneiden von Claudia Roth für die Betroffene selbst. Denn die Bundesparteivorsitzende verkörperte wie wohl kein anderer die aufbegehrende Seele der 32 Jahre alten Grünen-Partei, den persönlichen Protest gegen Gorleben, Rassismus und Menschenrechtsverletzungen. Kürzlich marschierte Roth bei einer Demonstration in Berlin gegen den türkischen Premier Erdogan mit, sie forderte von ihm lauthals Demokratie ein.

Mangelnden Mut hat man Roth nie nachsagen können, auch nicht, dass sie eigene Überzeugen hinter diplomatischen Rücksichten versteckt. „Claudia nervt“ – mit diesem Slogan hatte Roth selbst geworben. Aber die Basis hat von diesem chronisch-empörten Politikstil genug. Die Zeiten, es ist Euro-Krise, sie sind nicht danach.

Ist der Führungsstreit unter den Grünen ausgestanden?

Mit der Urwahl haben die Grünen einem politischen Konkurrenten, der Piratenpartei, vorgeführt, wie man über Transparenz nicht nur redet, sondern wie man sie auch organisiert. Die Urwahl kann für eine zerrissene, unentschlossene Partei eine stabilisierende Funktion haben. Das Auftreten von unerfahrenen Kandidaten – auch skurrile Weltretter hatten in den Urwahlforen ihre Redezeit - mag die Basis mit ihren professionellem Spitzenpersonal versöhnt haben. Nun muss Claudia Roth entscheiden, ob sie trotz ihrer Niederlage in der Führung bleiben will. Möglich ist, das am nächsten Wochenende auf dem Parteitag in Hannover ein Gerangel um den Parteivorsitz entbrennt. Das schöne Bild einer geschlossenen Partei, es wäre dann nur kurz gewonnen worden und schnell wieder zerronnen.