Der AfD ist bei drei Landtagswahlen der Einzug in die jeweiligen Parlamente gelungen. Die Partei ist auch deshalb erfolgreich, weil sich Teile der Mittelschicht im Stich gelassen fühlen, analysiert der StZ-Politikchef Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Bereits vor dem Sonntag, an dem die AfD in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt katapultiert wurde, fühlte sich der frühere Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) in düstere deutsche Zeiten zurückversetzt. „Der sich bis in gemäßigte konservative Kreise ausbreitende Hass ist zutiefst beunruhigend und erinnert an die späte Weimarer Republik“, sagte Beck. Er warnte, die Risiken zu unterschätzen. „Gefährlich ist die bis weit ins bürgerliche Lager verbreitete Auffassung, AfD und Pegida zeigten es denen da oben mal, aber wirklich groß würden die schon nicht.“

 

Die bange Frage, ob ihr freiheitliches und demokratisches Fundament stark genug ist, um auch in Krisenzeiten Halt zu geben, begleitet die Bundesrepublik seit ihrer Gründung 1949. Bisher wurde diese Frage immer positiv beantwortet – selbst als die rechtsextremistische NPD und die Republikaner in mehrere Landesparlamente einzogen. Eine dauerhafte Radikalisierung oder Nationalisierung der Republik folgte diesen Wahlerfolgen nicht. Sollte sich das jetzt mit der AfD geändert haben?

Verrohung des politischen Diskurses

Unbestreitbar – so weit ist Kurt Beck zuzustimmen – ist das politische Klima rauer geworden. Der heftige Streit um die Flüchtlinge hat politische und gesellschaftliche Phänomene verstärkt und sichtbar gemacht, die vorher schon da waren: eine schauderhafte Verrohung des politischen Diskurses, vor allem in den Freiräumen des Internets; eine Fremdenfeindlichkeit, die nicht nur in sprachliche, sondern auch in handfeste Gewalt ausartet; eine Verachtung für die Akteure im Staat und in den Parteien, die in offenen Hass umschlägt.

Es ist auch festzuhalten, dass sich zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung momentan in keiner Weise von Merkel, Gabriel, Kretschmann und den vielen anderen Großpolitikern vertreten fühlen. Das gilt in der Flüchtlingspolitik, aber die Unzufriedenheit reicht tiefer. Sie wurzelt in dem Gefühl, dass der eigene Lebensentwurf gefährdet ist, dass Aufstiegswünsche unerfüllt bleiben und dass die eigenen Wertvorstellungen im öffentlichen Raum nur unzureichend vertreten werden. Dieses gleichermaßen diffuse wie raumgreifende Gefühl der Entfremdung und des Bedrohtseins scheint nicht nur bei einigen Hartz-IV-Empfängern beheimatet, vielmehr hat es Menschen bis ins klassische Bürgertum hinein erfasst.

Entwicklung wie in den Nachbarländern

Der AfD gelingt es, diese Stimmungen in Wahlstimmen umzumünzen. Die wenigsten ihrer Wähler werden wissen, wen sie damit in die Parlamente schicken. Sie erwarten in ihrer großen Mehrheit auch gar nicht, dass die Alternative für Deutschland selbst etwas zu ihren Gunsten ändert. Die Stimme für die AfD ist für die meisten Ausdruck von Protest. Obwohl es der Partei an charismatischen Anführern gebricht, hat sie nun aufgeschlossen zu den populistischen, nationalkonservativen Bewegungen in Frankreich, Ungarn und der Schweiz.

Die Bundesrepublik folgt also einer Entwicklung, die in ihren Nachbarländern längst im Gange ist. Das sollte keine Hysterie auslösen, beruhigen darf es aber auch nicht. Marine Le Pen und Christoph Blocher haben gezeigt, welche gesellschaftsverändernde Kraft in solchen Frust- und Protestbewegungen liegt. Es ist Illusion zu glauben, sie würden so schnell verschwinden wie sie aufgekommen sind. Das gilt vermutlich auch für die AfD.

Jenseits der deutschen Grenze lässt sich beobachten, was gegen populistische Bewegungen nicht hilft: ein inhaltliches und sprachliches Hinterher-Hecheln. Auch eine Dämonisierung ist kontraproduktiv: die AfD ist keine Ansammlung von Nazis, die nach absoluter Macht à la Hitler strebt. Helfen kann nur eine Politik, die sich der tiefer liegenden Probleme dieser verunsicherten Mittelschicht annimmt. Darüber müssen Merkel, Gabriel wie Kretschmann nun nachdenken – und dann handeln.