Die heute im Bundestag vertretenen Parteien enttäuschen viele Bürger. Das Potenzial für eine neue Partei ist da. Ein Kommentar von Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Berlin - War es nur Koketterie? Oder hat es Karl-Theodor zu Guttenberg ernst gemeint, als er jüngst über die Chancen einer neuen Partei sinnierte. Er selbst sei ja "zurzeit" Mitglied der CSU, die wie SPD und CDU von der "Abwärtsbewegung der sogenannten Volksparteien" erfasst werde. Aber er könne sich durchaus vorstellen, dass eine neue Gruppierung Erfolg habe, wenn sie denn in der politischen Mitte angesiedelt und von den richtigen Köpfen angeführt werde.

 

Der gefallene Verteidigungsminister Guttenberg ist nicht der Einzige, der sich Gedanken macht über neue politische Formationen, die das tradierte Parteiensystem der Bundesrepublik in Schwingung versetzen könnten. In den unterschiedlichsten politischen Lagern wird darüber geredet. Mal ängstlich, mal hoffnungsfroh. Allen diesen Gesprächen liegt ein gemeinsamer Befund zugrunde: die heute im Bundestag vertretenen Parteien enttäuschen eine große Zahl von Bürgern. Diese wenden sich von der CDUCSUFDPSPDGRÜNELINKE-Partei ab, fühlen sich politisch heimatlos - und suchen nach Alternativen.

Die Ursachen dieser Enttäuschung sind vielfältig, oft auch widersprüchlich. Den einen ist der klassische Politikbetrieb zu steril, zu vermachtet, zu intransparent. Andere, vor allem die Jüngeren, empfinden das Raumschiff Berlin als völlig losgelöst von ihrer eigenen Lebenswelt, die vorzugsweise um das World Wide Web kreist. Wieder andere sehnen sich nach werthaltiger Politik, die sie in den klassischen Parteien verloren gegangen glauben. Hinzu kommen jene, bei denen sich Ärger über die Euro-Rettungsmilliarden mit generellem Widerstand gegen europäische Integration paart. Nicht zuletzt sind die vom ganz rechten Rand dabei, bei denen schon Worte wie Ausländer oder Islam Reizreaktionen auslösen.

 Es geht um Einmischen, nicht um Verweigern

Mit ihrem Berliner Wahlkampfspruch "Klarmachen zum Ändern" haben die Piraten das weitverbreitete Unbehagen über die Etablierten auf den Punkt gebracht. Das Spannende an den demoskopischen Befunden zu dieser neuen Partei ist: Mag der Frust über die konventionellen Parteien auch groß sein, so verbindet die Piraten und ihre Anhänger ein starker Glaube, gemeinsam viel verändern zu können. Es geht - das ist die gute Nachricht - um Parteienverdruss, nicht um Politikverdruss. Es geht um Einmischen, nicht um Verweigern.

Die Piraten stoßen in ein Vakuum, das sich im linksliberalen Sektor des Parteienspektrums aufgetan hat. Kann Vergleichbares im liberal-konservativen Areal folgen? Zumindest rumort es heftig. Die Sozialdemokratisierung der CDU hat viele Wertkonservative ihrer Partei entfremdet. Der große Zuspruch für den Integrationskritiker Thilo Sarrazin hat das Potenzial einer national-konservativen Bewegung schon einmal aufscheinen lassen. Der Zerfall der FDP, spätestens aber die Niederlage der Euroskeptiker im Mitgliederentscheid kann zu einer Abspaltung eines liberal-konservativen Flügels führen.

Die Freien Wähler, entstanden aus der Kommunalpolitik, wollen diesen liberalen Euroskeptikern eine neue Heimat bieten und 2013 erstmals als Partei im Bundestagswahlkampf antreten. Mit dem früheren BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der neben Prominenz auch Kontakte zu solventen Unternehmern mitbringt, haben sie einen ersten vorzeigbaren Kopf gewonnen.

Das letzte Wort in Sachen "Neue Partei" muss das nicht sein. Im Mitte-rechts-Spektrum denken viele über eine Gründung nach. Neben Geld, Organisationskraft und einem schlüssigen Programm braucht es dazu vor allem charismatische Anführer. Noch ist keiner aufgetaucht. Vonnöten seien jedenfalls Köpfe, "die für ein bestimmtes Denken stehen und über jeden Zweifel erhaben sind, mit tumbem Extremismus in Verbindung zu stehen", befindet Karl-Theodor zu Guttenberg. An wen der Baron da wohl gedacht haben mag?